Erneuerung der Universität123
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Zum erstenmal nach zwölf Jahren haben wir wieder frei den Rektor gewählt, haben wir
unseren Rektor.124 Heute beginnt der medizinische Unterricht. Es ist für unsere Uni-
versität ein großer Tag. Wir dürfen hoffen, daß andere Fakultäten bald folgen und daß
in nicht zu ferner Zeit die Universität im ganzen eröffnet wird.125
Es ist ein Neubeginn nach der Ruhepause infolge des Zusammenbruchs und nach
dem Ruin, in den die Universität seit zwölf Jahren hineingezwungen wurde.
Wohl hat der Kern der Universität in der Verborgenheit standgehalten. Es gab Pro-
fessoren und Studenten, die innerlich frei blieben. Sachlich erfüllten sie ihren Beruf.
Es blieb etwas erhalten trotz der massenhaften Entlassungen, trotz der Eingriffe in den
Unterricht und in die Forschung, trotz der Zerstörung unserer uralten Verfassung und
Selbstverwaltung zugunsten eines weltanschaulich und politisch vergifteten, in sei-
nem Wert ständig sinkenden Schulbetriebs. Weil der wissenschaftliche Geist tatsäch-
lich noch nicht zerstört werden konnte, vermag heute die Universität sogleich wieder
zu beginnen, wenn auch nur in einem beschränkten Umfang.
Daß wir wieder arbeiten dürfen, verdanken wir dem Einverständnis der Besatzungs-
macht. Wir haben nach der bedingungslosen Kapitulation, nach dem wortlosen Ver-
schwinden der Führer des Regimes und nach dem Aufhören jeder deutschen Staatlich-
keit keinen Rechtsanspruch. Wir leben in der Lage des >vae victis<.126 In diese Lage aber
sind wir geraten nicht barbarischen Völkern gegenüber, sondern Völkern, die im
Grundsatz ihres Lebens Menschenrechte anerkennen, die sie einst in ihrer Geschichte
feierlich verkündet haben. Daß wir für den Aufbau unserer Universität die Duldung
und vielleicht die Hilfe der Sieger finden, ist allein ihrem tätigen Glauben an diese
Menschenrechte zu danken, die sie auch uns Besiegten gewähren. Sie haben erklärt:
Das deutsche Volk soll nicht vernichtet werden, und das deutsche Volk soll erzogen
werden.127 Von diesen Rechten dürfen wir, als uns von ihnen gegeben, auch Gebrauch
machen. Hier dürfen wir vertrauen, wenn überhaupt noch ein Ort in der Welt ist, dem
wir Vertrauen schenken wollen.
Der Neubeginn unserer Universität kann jedoch kein einfaches Anknüpfen an den
Zustand vor 1933 sein. Zuviel ist geschehen, zu eingreifend ist die Katastrophe. | Wir 10
selbst sind andere geworden seit 1933. Es war möglich, in der Würdelosigkeit den Tod
zu suchen -1933, als nach dem Verfassungsbruch durch eine Scheinlegalität die Dikta-
tur errichtet und, was sich widersetzte, im Rausche eines großen Teiles unserer Bevöl-
kerung hinweggeschwemmt wurde. Wir konnten den Tod suchen, als die Verbrechen
des Regimes öffentlich in Erscheinung traten: am 30. Juni 1934128 oder mit den Plün-
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Zum erstenmal nach zwölf Jahren haben wir wieder frei den Rektor gewählt, haben wir
unseren Rektor.124 Heute beginnt der medizinische Unterricht. Es ist für unsere Uni-
versität ein großer Tag. Wir dürfen hoffen, daß andere Fakultäten bald folgen und daß
in nicht zu ferner Zeit die Universität im ganzen eröffnet wird.125
Es ist ein Neubeginn nach der Ruhepause infolge des Zusammenbruchs und nach
dem Ruin, in den die Universität seit zwölf Jahren hineingezwungen wurde.
Wohl hat der Kern der Universität in der Verborgenheit standgehalten. Es gab Pro-
fessoren und Studenten, die innerlich frei blieben. Sachlich erfüllten sie ihren Beruf.
Es blieb etwas erhalten trotz der massenhaften Entlassungen, trotz der Eingriffe in den
Unterricht und in die Forschung, trotz der Zerstörung unserer uralten Verfassung und
Selbstverwaltung zugunsten eines weltanschaulich und politisch vergifteten, in sei-
nem Wert ständig sinkenden Schulbetriebs. Weil der wissenschaftliche Geist tatsäch-
lich noch nicht zerstört werden konnte, vermag heute die Universität sogleich wieder
zu beginnen, wenn auch nur in einem beschränkten Umfang.
Daß wir wieder arbeiten dürfen, verdanken wir dem Einverständnis der Besatzungs-
macht. Wir haben nach der bedingungslosen Kapitulation, nach dem wortlosen Ver-
schwinden der Führer des Regimes und nach dem Aufhören jeder deutschen Staatlich-
keit keinen Rechtsanspruch. Wir leben in der Lage des >vae victis<.126 In diese Lage aber
sind wir geraten nicht barbarischen Völkern gegenüber, sondern Völkern, die im
Grundsatz ihres Lebens Menschenrechte anerkennen, die sie einst in ihrer Geschichte
feierlich verkündet haben. Daß wir für den Aufbau unserer Universität die Duldung
und vielleicht die Hilfe der Sieger finden, ist allein ihrem tätigen Glauben an diese
Menschenrechte zu danken, die sie auch uns Besiegten gewähren. Sie haben erklärt:
Das deutsche Volk soll nicht vernichtet werden, und das deutsche Volk soll erzogen
werden.127 Von diesen Rechten dürfen wir, als uns von ihnen gegeben, auch Gebrauch
machen. Hier dürfen wir vertrauen, wenn überhaupt noch ein Ort in der Welt ist, dem
wir Vertrauen schenken wollen.
Der Neubeginn unserer Universität kann jedoch kein einfaches Anknüpfen an den
Zustand vor 1933 sein. Zuviel ist geschehen, zu eingreifend ist die Katastrophe. | Wir 10
selbst sind andere geworden seit 1933. Es war möglich, in der Würdelosigkeit den Tod
zu suchen -1933, als nach dem Verfassungsbruch durch eine Scheinlegalität die Dikta-
tur errichtet und, was sich widersetzte, im Rausche eines großen Teiles unserer Bevöl-
kerung hinweggeschwemmt wurde. Wir konnten den Tod suchen, als die Verbrechen
des Regimes öffentlich in Erscheinung traten: am 30. Juni 1934128 oder mit den Plün-