Die Idee der Universität [1923]
3
| Vorwort
V
Unter der studentischen Jugend wird seit Jahren über den Sinn und die Aufgaben der
Universität leidenschaftlich verhandelt. Von außen werden unfreundliche Urteile aus
verschiedenen Motiven gefällt. Die Universität selbst hat seit 1918 allerlei »Reformen«
mit sich vorgenommen und vornehmen lassen. Daß es ganz anders werden müsse, daß
es so nicht bleiben könne, das erwägen aus einem noch dunklen Instinkt auch ernst
zu nehmende junge Menschen. Dazu soll die Universität noch neue Aufgaben über-
nehmen. Die Ausbildung der Volksschullehrer will man in ihre Hände legen2 und ihr
damit ein für die Bildung unseres Volkes entscheidendes Problem zu praktischer Lö-
sung anvertrauen. Die Verantwortung der Universität wird auf das höchste gespannt,
sowohl die Verantwortung für die Bewahrung und das lebendige Wachsen ihrer eige-
nen Idee als auch die Verantwortung für die beste Lösung gegenwärtiger Aufgaben, die
ihr Volk, Gesellschaft und Staat stellen.
Wenn der Universität von der einen Seite gelegentlich fast die Existenzberechti-
gung abgesprochen wird,3 während die andere Seite in grenzenlosem Vertrauen for-
dert, die Aufgaben der Universität zu erweitern, in dieser unruhigen Lage kann kaum
jemand, der sein Leben in den Dienst der Universitätsidee gestellt hat, sich den ge-
wohnten Formen des Hochschulbetriebs, seinen eigenen Gefühlen und Wertungen,
seinen praktischen Einfällen, die ad hoc kommen, einfach überlassen und im übrigen
sich seiner Forschertätigkeit hingeben, als ob sie nie in Frage gestellt werde. Man will
Klarheit über den Sinn des eigenen Tuns und über den Zusammenhang des Sinns ein-
zelner Einrichtungen, Handlungen, Verhaltungsweisen, Forschungsrichtungen mit
der Idee der Universität gewinnen. Man will ein Bewußtsein seiner selbst, ein gegen-
ständliches Wissen von der Universität in ihrer Eigensubstanz und von ihren Funktio-
nen in der Wirklichkeit erstreben, | um seine und der anderen instinktiven Wünsche VI
und Ablehnungen und endlosen Argumentationen mit zufälligen Prinzipien durch
bewußte Maßstäbe prüfen zu können.
Dabei kann eine verstandesmäßig fixierbare Summe von Grundsätzen nicht das
Letzte sein. Die zeitlos eine Universitätsidee besteht in der Wirklichkeit in Wechsel-
wirkung mit den realen Mächten der Wirtschaft und Gesellschaft des Staats und des
Volks. Und zwar nicht infolge trauriger Notwendigkeit, als ob diese Idee lieber jenseits
aller Wirklichkeit frei sein möchte, sondern sie hat Gestalt und Differenzierung, Ent-
faltung und Leben nur durch Auswirkung in der Wirklichkeit. Wir ergreifen nicht wi-
derwillig die Aufgaben, die die Gegenwart uns stellt, wir sind uns bewußt, daß die Uni-
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| Vorwort
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Unter der studentischen Jugend wird seit Jahren über den Sinn und die Aufgaben der
Universität leidenschaftlich verhandelt. Von außen werden unfreundliche Urteile aus
verschiedenen Motiven gefällt. Die Universität selbst hat seit 1918 allerlei »Reformen«
mit sich vorgenommen und vornehmen lassen. Daß es ganz anders werden müsse, daß
es so nicht bleiben könne, das erwägen aus einem noch dunklen Instinkt auch ernst
zu nehmende junge Menschen. Dazu soll die Universität noch neue Aufgaben über-
nehmen. Die Ausbildung der Volksschullehrer will man in ihre Hände legen2 und ihr
damit ein für die Bildung unseres Volkes entscheidendes Problem zu praktischer Lö-
sung anvertrauen. Die Verantwortung der Universität wird auf das höchste gespannt,
sowohl die Verantwortung für die Bewahrung und das lebendige Wachsen ihrer eige-
nen Idee als auch die Verantwortung für die beste Lösung gegenwärtiger Aufgaben, die
ihr Volk, Gesellschaft und Staat stellen.
Wenn der Universität von der einen Seite gelegentlich fast die Existenzberechti-
gung abgesprochen wird,3 während die andere Seite in grenzenlosem Vertrauen for-
dert, die Aufgaben der Universität zu erweitern, in dieser unruhigen Lage kann kaum
jemand, der sein Leben in den Dienst der Universitätsidee gestellt hat, sich den ge-
wohnten Formen des Hochschulbetriebs, seinen eigenen Gefühlen und Wertungen,
seinen praktischen Einfällen, die ad hoc kommen, einfach überlassen und im übrigen
sich seiner Forschertätigkeit hingeben, als ob sie nie in Frage gestellt werde. Man will
Klarheit über den Sinn des eigenen Tuns und über den Zusammenhang des Sinns ein-
zelner Einrichtungen, Handlungen, Verhaltungsweisen, Forschungsrichtungen mit
der Idee der Universität gewinnen. Man will ein Bewußtsein seiner selbst, ein gegen-
ständliches Wissen von der Universität in ihrer Eigensubstanz und von ihren Funktio-
nen in der Wirklichkeit erstreben, | um seine und der anderen instinktiven Wünsche VI
und Ablehnungen und endlosen Argumentationen mit zufälligen Prinzipien durch
bewußte Maßstäbe prüfen zu können.
Dabei kann eine verstandesmäßig fixierbare Summe von Grundsätzen nicht das
Letzte sein. Die zeitlos eine Universitätsidee besteht in der Wirklichkeit in Wechsel-
wirkung mit den realen Mächten der Wirtschaft und Gesellschaft des Staats und des
Volks. Und zwar nicht infolge trauriger Notwendigkeit, als ob diese Idee lieber jenseits
aller Wirklichkeit frei sein möchte, sondern sie hat Gestalt und Differenzierung, Ent-
faltung und Leben nur durch Auswirkung in der Wirklichkeit. Wir ergreifen nicht wi-
derwillig die Aufgaben, die die Gegenwart uns stellt, wir sind uns bewußt, daß die Uni-