Die Idee der Universität [1923]
39
| Zweites Kapitel
Die Idee der Universität
Es bedarf nur der Zusammenfassung und Akzentuierung der bisher entwickelten Ge-
danken, um sich der Idee der Universität bewußt zu werden. Wir nehmen als Ausgangs-
punkt die geläufigen Antworten auf die Frage nach dem Zweck der Universität. Man
bekommt drei Antworten: Es komme an auf die Fachschulung zum Beruf; die Universi-
tät sei eine Bildungsschule, die ihren Zweck im Menschen sehe; sie sei eine Forschungs-
anstalt, deren Sinn in der Mehrung der Erkenntnis bestehe und in der Heranziehung
junger Gelehrter. Zwischen solchen Möglichkeiten hat man ein Entweder-Oder auf-
gestellt und gefragt, was man denn eigentlich von der Universität wolle; alles könne
sie nicht leisten, man müsse sich für einen Zweck entscheiden. Damit fordert man
wohl eine Auflösung der Universität und die Einrichtung besonderer Fachhochschu-
len, Bildungshochschulen - letztere vielleicht in der Form besonderer Fakultäten, wel-
che an den Universitäten nur der Bildung dienen sollen - und Forschungsanstalten.
Andere wieder meinen gutmütig, es ließen sich diese Zwecke wohl verbinden, und man
könne unter Abwägung und sorgfältiger Begrenzung der einzelnen Zwecke wohl allen
zugleich gerecht werden.
In der Idee der Universität bilden aber diese getrennten Zwecke eine Einheit. Ein
Zweck läßt sich vom anderen nicht lösen, ohne die eigentlich geistige Substanz der
Universität zu vernichten und sich selbst verkümmern zu lassen. Alle drei Zwecke iso-
lieren nur eine Seite eines lebendigen Ganzen, und in der Isolierung dieser Zwecke tritt
ein Absterben der Geistigkeit ein. Dies suchen wir uns zu vergegenwärtigen:
Das erste Prinzip der Universität ist die Verbindung von Forschung und Lehre;69 nicht
weil man aus ökonomischen | Gründen durch Häufung der Arbeit auf einen Menschen 45
sparen wollte; nicht weil man nur so die materielle Existenz der Forscher ermöglichen
könnte; sondern weil der Idee nach der beste Forscher zugleich der einzig gute Lehrer
ist. Denn der Forscher kann zwar didaktisch ungeschickt sein, er kann ungeschickt sein
zur bloß tradierenden Vermittlung eines zu lernenden Stoffes. Aber er allein bringt in
Berührung mit dem eigentlichen Prozeß des Erkennens, mit dem Geist der Wissenschaf-
ten, statt mit den toten, lernbaren Ergebnissen. Er allein ist selbst lebende Wissenschaft,
und im Verkehr mit ihm allein ist die Wissenschaft, wie sie ursprünglich existiert, an-
schaubar. Er weckt gleiche Impulse im Schüler. Er führt ins Zentrum der Wissenschaft,
an ihre Quelle. Nur wer selbst forscht, kann lebendig lehren. Der Andere tradiert nur Fe-
stes, didaktisch geordnet. Die Universität aber ist keine Schule, sondern Hochschule.
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| Zweites Kapitel
Die Idee der Universität
Es bedarf nur der Zusammenfassung und Akzentuierung der bisher entwickelten Ge-
danken, um sich der Idee der Universität bewußt zu werden. Wir nehmen als Ausgangs-
punkt die geläufigen Antworten auf die Frage nach dem Zweck der Universität. Man
bekommt drei Antworten: Es komme an auf die Fachschulung zum Beruf; die Universi-
tät sei eine Bildungsschule, die ihren Zweck im Menschen sehe; sie sei eine Forschungs-
anstalt, deren Sinn in der Mehrung der Erkenntnis bestehe und in der Heranziehung
junger Gelehrter. Zwischen solchen Möglichkeiten hat man ein Entweder-Oder auf-
gestellt und gefragt, was man denn eigentlich von der Universität wolle; alles könne
sie nicht leisten, man müsse sich für einen Zweck entscheiden. Damit fordert man
wohl eine Auflösung der Universität und die Einrichtung besonderer Fachhochschu-
len, Bildungshochschulen - letztere vielleicht in der Form besonderer Fakultäten, wel-
che an den Universitäten nur der Bildung dienen sollen - und Forschungsanstalten.
Andere wieder meinen gutmütig, es ließen sich diese Zwecke wohl verbinden, und man
könne unter Abwägung und sorgfältiger Begrenzung der einzelnen Zwecke wohl allen
zugleich gerecht werden.
In der Idee der Universität bilden aber diese getrennten Zwecke eine Einheit. Ein
Zweck läßt sich vom anderen nicht lösen, ohne die eigentlich geistige Substanz der
Universität zu vernichten und sich selbst verkümmern zu lassen. Alle drei Zwecke iso-
lieren nur eine Seite eines lebendigen Ganzen, und in der Isolierung dieser Zwecke tritt
ein Absterben der Geistigkeit ein. Dies suchen wir uns zu vergegenwärtigen:
Das erste Prinzip der Universität ist die Verbindung von Forschung und Lehre;69 nicht
weil man aus ökonomischen | Gründen durch Häufung der Arbeit auf einen Menschen 45
sparen wollte; nicht weil man nur so die materielle Existenz der Forscher ermöglichen
könnte; sondern weil der Idee nach der beste Forscher zugleich der einzig gute Lehrer
ist. Denn der Forscher kann zwar didaktisch ungeschickt sein, er kann ungeschickt sein
zur bloß tradierenden Vermittlung eines zu lernenden Stoffes. Aber er allein bringt in
Berührung mit dem eigentlichen Prozeß des Erkennens, mit dem Geist der Wissenschaf-
ten, statt mit den toten, lernbaren Ergebnissen. Er allein ist selbst lebende Wissenschaft,
und im Verkehr mit ihm allein ist die Wissenschaft, wie sie ursprünglich existiert, an-
schaubar. Er weckt gleiche Impulse im Schüler. Er führt ins Zentrum der Wissenschaft,
an ihre Quelle. Nur wer selbst forscht, kann lebendig lehren. Der Andere tradiert nur Fe-
stes, didaktisch geordnet. Die Universität aber ist keine Schule, sondern Hochschule.