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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0087
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Die Idee der Universität [1923]

2. Gebildet heißt, wer eine »Berechtigung« erworben hat, die ihn soziologisch ganz
allgemein privilegiert. Im hellenistischen Ägypten machte die Ausbildung als Ephebe11
im Gymnasion zum Griechen, der allein befähigt war zu kommunalen Ämtern. Man
führte Listen über die gymnasial Gebildeten. Der Chinese gewinnt durch die Examina
8 das Vorrecht, der Literatenschicht | anzugehören und Mandarin12 zu werden. Bei uns
heißt gebildet, wer die Zeugnisse der höheren Schulen, früher nur des humanistischen
Gymnasiums, besitzt. Ohne das Abiturientenzeugnis, das als Ausweis der allgemeinen
Bildung gilt, ist die akademische Fachausbildung nicht zugänglich. Die Zeugnisse »be-
rechtigen«.
3. Gebildet ist der Mensch, der einem bestimmten Bildungsideal entsprechend ge-
prägt ist, so daß ihm ein Ganzes von Vorstellungsweisen, Bewegungen, Wertungen,
Sprechweisen und Fähigkeiten zur zweiten Natur13 geworden ist. Diese Bildung wird
nicht nur durch Zeugnisse bewiesen, sondern ist im Habitus des Einzelnen sichtbar.
Gebildet ist der Engländer als Gentleman, der Grieche in seiner Kalokagathie,14 der Rö-
mer in seiner Haltung, die das decorum15 wahrt.
Die drei Arten der Bildung (Fachausbildung, erwerbbares Privilegium, spezifische
Prägung der Person) scheinen ihrem Sinn nach jedermann zugänglich. Doch liegt es
auf der Hand, daß ihre Zugänglichkeit immer auch von soziologischen und ökonomi-
schen Bedingungen abhängig war. Im besonderen sind alle Bildungsideale zunächst
solche eines Standes gewesen, des Ritters, des Priesters, des Hofadels usw. Zuweilen hat
ein ganzes Volk dieses Bildungsideal dann nachträglich als das seine empfunden, wo-
durch z.B. der geprägte und einheitliche Habitus des Engländers und des Franzosen
möglich wurde, während in Deutschland kein Stand ein Bildungsideal mit suggestiver
Kraft entwickelt hat, darum der Deutsche als solcher ungebildet, Barbar, seine Bildung
sehr weitgehend eine »persönliche« ist.16 Doch wird damit der Begriff der Bildung nahe
an den des Geistes gerückt. Denn Bildung ist Gemeinschaftsideal und Prägung, wäh-
rend die persönliche Bildung vielmehr als Geistigkeit charakterisiert ist.
Daß der Begriff der Bildung leicht in den des Geistes und in den des Wissens zer-
fließt, ist begreiflich. Bildung ist ein Produkt des Geistes, bleibt aber leicht gleichsam
als Versteinerung zurück, ohne von geistiger Bewegung etwas zu behalten. Wenn man
ein allgemein menschliches Bildungsideal aufstellt, wenn man Bildung definiert als
die Fähigkeit, in der realen Welt, in welcher man lebt, Anschauungen und Erfahrun-
gen zu einem Ganzen werden zu lassen, so hat man den Geist im Auge. Dann denkt
man an Kräfte und Bewegungen, nicht an die mehr ruhenden, geprägten, geordneten
9 Gestalten des Daseins, welche Bildungs|ideale heißen. Diese sind ihrem Wesen nach
mannigfaltig, soziologisch bedingt, aus dem Geist entsprungen, aber die fortdauernde
Verführung, sich zu ihren Gunsten der Unruhe und der Freiheit des Geistes zu enthe-
ben. Alle ausgeführten Bildungsideale, auch wenn sie als allgemeine Formulierungen
des Geistes beginnen, bringen alsbald besondere, historisch bedingte und soziologisch
charakterisierte Typen, die sich selbst nur nicht als solche erkennen.
 
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