Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0113
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
38

Die Idee der Universität [1923]

extremer Einseitigkeit nur Mittel und Vertreter. Es ist kennzeichnend für Menschen,
die an der Organisation arbeiten, »reformieren«, einrichten, umrichten, ob sie an Per-
sönlichkeiten glauben oder an Institutionen. Persönlichkeiten allein beseelen die In-
stitution, und sie allein auch schaffen sie als fruchtbare und wahrhaft zweckmäßige.
Sie werden nicht gemacht nach irgendwelchen Prinzipien steriler Menschen. Und die
alten noch gegenwärtigen Institutionen leiden nicht nur an vielem »Zopf«, sondern
enthalten in ihrem lebendigen Dasein - das allerdings immer von den gegenwärtigen
Menschen und ihrer Artung abhängig ist - tiefe Weisheit, von der rationalistische Re-
former meistens keine Ahnung gewinnen.
In jeder Institution steckt ein rationaler, zweckhafter Mechanismus. Der bloße Me-
chanismus würde reiner Betrieb und tot sein. Er ist Bedingung der Tradition, aber er
muß aufgenommen und relativiert sein in einem geistigen Ganzen. Daher muß man,
zumal in unserer heutigen Welt der Organisation und Mechanisierung, nicht nur be-
denken, wie man Organisation zwangsläufiger und sicherer macht, sondern auch, daß
man sie begrenzt auf das, was seinem Wesen nach maschinenmäßig ist. Hier aber, in
den Voraussetzungen und Unterbauten des Geistes, soll das Maschinenhafte auch
möglichst zweckmäßig - und mit Lust an der Beherrschung durch den Zweck - durch-
43 geführt werden (Bibliotheksord|nungen, Sammlungseinrichtungen, formale Verwal-
tungsgeschäfte usw.). Das erweitert die Freiheit. Dann ist zu bedenken, wie man für
das lebendig Geistige Spielraum und Möglichkeiten frei hält, und wie man organisa-
torisch indirekte Wirkungen nicht zwangsläufig herbeiführt, aber ihnen möglichst
günstige Chancen gibt (z.B. der Auslese der Geistigen).
Persönlichkeit des Einzelnen und Institution sind aufeinander angewiesen. Die Po-
larität ist nie ohne Spannung, aber drängt immer zur Synthese. Ein ruhiger Ausgleich
wäre der Tod.
In jeder Institution gibt es Über- und Unterordnung, gibt es Rangordnung. Es sol-
len nicht nur die faktischen Niveauunterschiede der Menschen anerkannt werden,
sondern vor allem ist jede zweckhafte Einrichtung ohne Leitung undenkbar. So fin-
den sich ursprünglich frei die Schüler um einen Forscher zusammen, so herrscht spä-
ter institutionell der Direktor über sein wissenschaftliches Institut und alle seine Assi-
stenten. Es liegt auf der Hand, daß solche Herrschaft immer nur dann erträglich und
sogar ersehnt ist, wenn der Führer auch faktisch der produktivste Kopf ist und der gei-
stigste Mensch. Das sind in dauernden Institutionen Glücksfälle. Unerträglich wird
die Herrschaft der Kümmerlichen, die sich ihre Geistlosigkeit nicht eingestehen und
die Unzufriedenheit mit der eigenen Substanz ausgleichen wollen durch den Genuß
einer äußerlich sichtbaren Herrschaft. Vortrefflich sind die produktiven Köpfe, die zur
Leitung eines Institutes berufen, im Bewußtsein ihrer begrenzten Kräfte jedem leben-
digen Impuls der ihnen Unterstellten Freiheit lassen und ihren Ehrgeiz darin sehen,
daß diese Besseres leisten möchten als sie selbst.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften