Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0132
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Idee der Universität [1923] 57
es sei taktlos, sich über Religion und Politik zu streiten, so wird hier der Tendenz nach
aus der Kommunikation die Idee ausgeschaltet.
In diesem Verhalten, das zunächst vielleicht nur abschätzig beurteilt wird, steckt
die Weisheit: daß die Freiheit des einzelnen Gelehrten bis zur Willkür (vom Stand-
punkt des Zeitgenossen gesehen) Bedingung seiner produktiven Geistigkeit ist. Daher
ist ein korporatives zwangsmäßiges Einwirken auf die mit Forschung und Lehre zu-
sammenhängenden Dinge des Einzelnen unerträglich, auch ein solches Einwirken auf
nichtbeamtete Dozenten, ja selbst auf Studenten. Bei allen Dingen, die über diesen
ganz persönlichen Bereich hinaus liegen, wo also ein gemeinsames Interesse der Fa-
kultät oder der Universität vorliegt, ist eine Einwirkung, ist Kontrolle jedoch geradezu
Pflicht, z.B. vor allem bei Berufungen und Habilitationen. Und in den persönlichen
Bereichen ist der Idee der Universität entsprechend Aussprache, Diskussion, also echte
Kommunikation - die immer nur persönlich, nicht amtlich und formell geschehen
kann -, Zeichen von Geistigkeit.
Die Universitätsidee lebt nur in Persönlichkeiten. Sie muß von Individuen immer
neu in ihrer Existenz verwirklicht werden. Sie ist nicht als rein objektives Gebilde faß-
bar. Wer sich nur von außen erfüllen, sich einem gestalteten Dasein einfügen will, sei-
nen Sinn allein durch Unterordnung gewinnen will, kann sie nicht verstehen. Sie muß
aus dem Menschen selbst kommen, von ihm ausstrahlen, und die letzte Gewißheit in
ihm selbst, nicht in einem Äußeren haben.
Die Polarität zwischen Persönlichkeit und Korporation kann an der Universität ih-
rer Idee nach nie zur restlosen Einfügung des Individuums als Glied mit einem be-
grenzten Spielraum persönlicher Auswirkung führen, sondern die Forscherpersönlich-
keit ist selbst ein Ganzes, das als solches autonom ist und sich nur relativ und mit
Vorbehalten eingliedert. Es gilt darum an der Universität nicht das Pathos des echten
Beamten, vielmehr das | Pathos des selbstverantwortlichen, keine Autorität anerken-
nenden freien geistigen Forschers.
Entartungen sind ebenso der Persönlichkeitskultus, das Genietreiben, die Beto-
nung der Willkür und der Originalität, wie die Vergewaltigung durch die Korporation,
durch die Pedanterie, die gegen alles Überragende sich wehrt. An der Universität
herrscht eine schwer formulierbare Gesinnung, die sich diesen beiden Extremen fern-
zuhalten sucht, eine Toleranz gegen scheinbare Wunderlichkeiten des Einzelnen, eine
Aufnahmefähigkeit für heterogenste Persönlichkeiten, eine Gemeinschaftlichkeit, in
der nicht die letzten weltanschaulichen Gesinnungen entscheiden - vielmehr können
sich die extremsten hier begegnen -, sondern geistiges Niveau und Leistung. Weil aber
die persönliche Gestalt immer das Übergreifende und das Letzte in der Verwirklichung
der Idee ist, gilt auch ohne Kultus die Persönlichkeit als solche. Man empfindet den
Rang und das Verdienst, auch ohne es auf Formeln gebracht zu haben, man hat Pietät
dem Alter gegenüber, dessen Verdienste schon endgültiger und sichtbarer sind als die
der Jugend, und das im Reiche des Geistes immer durch Reife und Weite eine Überle-

68
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften