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Die Idee der Universität [1923]
in ausgesprochener Meinung, so doch tatsächlich erscheinen zu lassen. Die Abgren-
zung der einzelnen wissenschaftlichen Fächer z.B. läßt sich schwer ändern. Es kann
vorkommen, daß ein hervorragender Forscher nach der gegebenen Facheinteilung kei-
nen Platz hat, und daß man zur Besetzung eines Lehrstuhls einen viel minderwertige-
66 ren Forscher vorzieht, weil er in seinen Leistungen dem Schema | entspricht. Wenn
das Neue eine Zeitlang besteht, erreicht es manchmal, nicht immer, die Errichtung ei-
nes weiteren Lehrstuhls.
Was die Auswahl der Persönlichkeiten anlangt, so hat jede Korporation - nicht nur
die Universität - eine meist unbewußte Solidarität des Interesses. Man wehrt sich in-
stinktiv gegen die ganz überragenden Persönlichkeiten, sucht sie auszuschalten, und
man lehnt die minderwertigen Persönlichkeiten ab, da sie Einfluß und Ansehen der
Universität stören würden. Man wählt den »Tüchtigen«, das Mittelgut, die Menschen
gleicher Geisteshaltung. Darum ist eine fortdauernde Kontrolle der Fakultäten, die
ihre Glieder auf freigewordene Lehrstühle berufen, durch eine andere Instanz erfor-
derlich. So meint J. Grimm: »Die Wahl der Professoren überhaupt hat aber der Staat
nicht aus seiner Hand zu lassen, da kollegialischen, von der Fakultät vorgenommenen
Wahlen die allermeiste Erfahrung widerstreitet. Selbst über reingestimmte, redliche
Männer äußert die Scheu vor Nebenbuhlern im Amt eine gewisse Gewalt. Die Univer-
sitäten haben sich unter Kuratelen oft ausgezeichnet wohl, unter dem Einfluß anwe-
sender Regierungsbevollmächtigter immer übel befunden. Auswärtige Gelehrte und
Professoren können sich ohne Gefahr dem Kurator melden, wogegen jeder Antrag bei
wahlberechtigten Fakultäten bedenklich erschien.«96
Die korporative Interessensolidarität hat zugleich eine merkwürdige Tendenz, den
einzelnen zu isolieren. Man läßt jedem einzelnen möglichst weitgehende Freiheit, um
auf Gegenseitigkeit selbst diese Freiheit zu haben und vor dem Hineinreden anderer
möglichst geschützt zu sein. Man hat das Verhalten von Fakultätsmitgliedern witzig
verglichen mit dem der Affen auf den Palmen im heiligen Hain von Benares: Auf jeder
Kokospalme sitzt ein Affe; alle scheinen sehr friedlich und kümmern sich gar nicht
umeinander; wenn aber ein Affe auf die Palme eines anderen klettern möchte, so gibt
es eine wilde Abwehr durch Werfen mit Kokosnüssen.97 Die Tendenz solcher gegen-
seitigen Rücksicht geht dahin, schließlich jedem in seinem Bereich seine Willkür und
zufällige Richtung zu erlauben, so daß das Wesentliche der Universität nicht mehr
gemeinsame Angelegenheit, sondern nur jeweils die des einzelnen ist, während das
Gemeinsame »taktvoll« auf das Formale und auf Berufungen sich erstreckt. So etwa
67 kommt es vor, daß man jedem Ordinarius seine Habilitationen durchgehen | läßt, um
auch selbst Freiheit hierin zu haben. Man vermeidet substantielle Kritik, regt sich da-
gegen vielleicht in formalen Dingen auf. Hier wird die Kommunikation, die geistig ein
Kampf um Klarheit und um das Wesentliche ist, unterbrochen, so gut wie zwischen
Lehrer und Schüler, durch Aufrichtung der Autorität und einer nach Gesichtspunkten
des Taktes geregelten Beziehung. Wie es im bürgerlichen geselligen Leben wohl hieß,
Die Idee der Universität [1923]
in ausgesprochener Meinung, so doch tatsächlich erscheinen zu lassen. Die Abgren-
zung der einzelnen wissenschaftlichen Fächer z.B. läßt sich schwer ändern. Es kann
vorkommen, daß ein hervorragender Forscher nach der gegebenen Facheinteilung kei-
nen Platz hat, und daß man zur Besetzung eines Lehrstuhls einen viel minderwertige-
66 ren Forscher vorzieht, weil er in seinen Leistungen dem Schema | entspricht. Wenn
das Neue eine Zeitlang besteht, erreicht es manchmal, nicht immer, die Errichtung ei-
nes weiteren Lehrstuhls.
Was die Auswahl der Persönlichkeiten anlangt, so hat jede Korporation - nicht nur
die Universität - eine meist unbewußte Solidarität des Interesses. Man wehrt sich in-
stinktiv gegen die ganz überragenden Persönlichkeiten, sucht sie auszuschalten, und
man lehnt die minderwertigen Persönlichkeiten ab, da sie Einfluß und Ansehen der
Universität stören würden. Man wählt den »Tüchtigen«, das Mittelgut, die Menschen
gleicher Geisteshaltung. Darum ist eine fortdauernde Kontrolle der Fakultäten, die
ihre Glieder auf freigewordene Lehrstühle berufen, durch eine andere Instanz erfor-
derlich. So meint J. Grimm: »Die Wahl der Professoren überhaupt hat aber der Staat
nicht aus seiner Hand zu lassen, da kollegialischen, von der Fakultät vorgenommenen
Wahlen die allermeiste Erfahrung widerstreitet. Selbst über reingestimmte, redliche
Männer äußert die Scheu vor Nebenbuhlern im Amt eine gewisse Gewalt. Die Univer-
sitäten haben sich unter Kuratelen oft ausgezeichnet wohl, unter dem Einfluß anwe-
sender Regierungsbevollmächtigter immer übel befunden. Auswärtige Gelehrte und
Professoren können sich ohne Gefahr dem Kurator melden, wogegen jeder Antrag bei
wahlberechtigten Fakultäten bedenklich erschien.«96
Die korporative Interessensolidarität hat zugleich eine merkwürdige Tendenz, den
einzelnen zu isolieren. Man läßt jedem einzelnen möglichst weitgehende Freiheit, um
auf Gegenseitigkeit selbst diese Freiheit zu haben und vor dem Hineinreden anderer
möglichst geschützt zu sein. Man hat das Verhalten von Fakultätsmitgliedern witzig
verglichen mit dem der Affen auf den Palmen im heiligen Hain von Benares: Auf jeder
Kokospalme sitzt ein Affe; alle scheinen sehr friedlich und kümmern sich gar nicht
umeinander; wenn aber ein Affe auf die Palme eines anderen klettern möchte, so gibt
es eine wilde Abwehr durch Werfen mit Kokosnüssen.97 Die Tendenz solcher gegen-
seitigen Rücksicht geht dahin, schließlich jedem in seinem Bereich seine Willkür und
zufällige Richtung zu erlauben, so daß das Wesentliche der Universität nicht mehr
gemeinsame Angelegenheit, sondern nur jeweils die des einzelnen ist, während das
Gemeinsame »taktvoll« auf das Formale und auf Berufungen sich erstreckt. So etwa
67 kommt es vor, daß man jedem Ordinarius seine Habilitationen durchgehen | läßt, um
auch selbst Freiheit hierin zu haben. Man vermeidet substantielle Kritik, regt sich da-
gegen vielleicht in formalen Dingen auf. Hier wird die Kommunikation, die geistig ein
Kampf um Klarheit und um das Wesentliche ist, unterbrochen, so gut wie zwischen
Lehrer und Schüler, durch Aufrichtung der Autorität und einer nach Gesichtspunkten
des Taktes geregelten Beziehung. Wie es im bürgerlichen geselligen Leben wohl hieß,