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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0136
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Die Idee der Universität [1923] 61
die Situation anders als bei einem bloßen Titelkauf, wenn eine angesehene Persönlich-
keit durch längere Zeit sich immer von neuem mit erheblichen Geschenken in offen-
barem Interesse um die Universität Verdienste erwirbt. Diese seltenen Fälle auch beim
Fehlen eigentlicher Forschungsleistungen ein für allemal vom Doctor honoris causa
auszuschließen, wäre ein der Not der Universität inadäquater Idealismus schlechter Art.
Allerdings ist hier der Mißbrauch seitens der Fakultät gefährlich. Hier ist immer der
Punkt nahe, wo die Ehre der Universität auf dem Spiel steht.
§ 4. Die Interessen der Gesellschaft und die staatliche Verwaltung
Die Universität bekommt ihre materiellen Mittel von der Gesellschaft selten allein zu For-
schungszwecken und zur Verwirklichung einer gleichsam für alle stellvertretenden kon-
templativen Denkerexistenz, sondern weil Schichten und Berufe der Gesellschaft hier
geistige Nahrung finden und Ergebnisse der Wissenschaft brauchen können. Die Univer-
sität dient immer zugleich der Gesellschaft, und ihre Erscheinung wandelt sich grund-
legend mit den Wandlungen der Gesellschaft und der in ihr relevanten Berufsaufgaben.
Im Mittelalter mußten vor allem die Kleriker ausgebildet werden, später die Staats-
beamten, außerdem die Ärzte und Lehrer. | Die technische Rationalisierung seit dem 73
17. Jahrhundert verlangte spezialistische Fachausbildung mit dem Ziel des Erwerbes ei-
nes besonderen nützlichen Könnens und einer Routine, während früher Gotteserkennt-
nis, Theologie und Philosophie alles beherrschten. Das aus soziologischen Gründen un-
ausweichliche Frauenstudium101 gab zuletzt der Universität eine neue Farbe. Nun werden
vielleicht die künftigen Volksschullehrer hier ausgebildet,102 was der Universität wieder
neue Aufgaben und auch neue lebendige Möglichkeiten zu den bisherigen gibt. Die Fre-
quenz der Studierenden, vom Willen aller Beteiligten unabhängig, ist von großer Bedeu-
tung für die innere Haltung der Glieder der Universität und die den Geist bestimmende
Kommunikation zwischen Schüler und Lehrer. Ganz unmerklich hat sich die Gestalt
der Universität im 19. Jahrhundert bis zum Weltkrieg gewandelt allein durch Vervielfa-
chung der Frequenz.103 Mit der Massenwirkung nahm der Verschulungsprozeß zu.
Die Gesellschaft wirkt jederzeit unwillkürlich auf den Geist der Universitäten, aber
sie wirkt auch direkt und willkürlich durch die staatliche Verwaltung, der gegenüber
die Abhängigkeit der Universität in der Geschichte sehr gewechselt hat. Im Mittelalter
bestanden die Universitäten als durch Stiftungen begründete Korporationen, manch-
mal von europäischer Geltung. Dann sanken sie in die Enge des Territorialstaats, der
seine Landeskinder hier zu gesinnungstüchtigen Beamten prägte. Erst mit dem 18. Jahr-
hundert gewann die Universität wieder als nationale einen weiteren Horizont. Die Pro-
fessoren und Studenten kamen nun aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet, wenn
auch die Verwaltung in den Händen der Einzelstaaten blieb'). Dem Staat gegenüber,

Vgl. Karl Bücher: Über alte und neue Aufgaben der Universität. Rektoratsrede. Leipzig 1903.
 
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