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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0274
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Die Idee der Universität [1946]

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sich gerade bewußt ist, größer als die Rücksicht auf freie geistige Möglichkeiten, die
früher von der Jugend ergriffen werden konnten auch ohne Zustimmung der älteren
Generation. Wenn man eine ökonomische Existenz mit der Habilitation erreicht, so
kann die Geringfügigkeit der Bezüge doch gerade passive und leicht zufriedene Natu-
ren anlocken, braucht nicht bloß von geistig beweglichen, die es wagen und ein Op-
fer zu bringen bereit sind, in Kauf genommen zu werden. Die Urteile der Professoren
bei Habilitationen waren bisher unzuverlässig, die venia legendi wurde nicht immer
mit dem genügenden Verantwortungsgefühl bewilligt - im Gegensatz zum Verhalten
bei Berufungen, wo die Fakultäten aus den vorhandenen Kandidaten durchweg mit
bestem Wissen und gutem Willen aussuchten. Die großen Gefahren des numerus
clausus scheinen jedoch zum Teil vermeidbar zu sein. Man darf jedenfalls den nume-
rus clausus für Habilitation nur für bezahlte Privatdozenten zulassen. Über die Zahl
der durch Existenzminimum gesicherten Privatdozenten hinaus, außerhalb des nu-
merus clausus, müßte Spielraum für freie Habilitationen auf eigenes | Risiko bleiben.
Wer es wagt und etwas leistet, soll auch neben einer schon größeren Anzahl von Pri-
vatdozenten eine Lehrtätigkeit eröffnen und hungern dürfen. Zwar werden solche
freien Habilitationen wohl beschränkt bleiben auf den engen Kreis Besitzender, aber
auch hier ist Freiheit in wenigen Fällen besser als nichts. Zur Verhinderung eigentli-
cher Verbeamtung des Nachwuchses darf zweitens das Recht auf das Existenzmini-
mum nicht als ein dauerndes erworben werden. Das Risiko - aber ausschließlich das
Risiko, ob echte Befähigung zu wissenschaftlichen Leistungen da ist - müßte bleiben.
Wer dem Durchschnitt der Ordinarien des Faches entsprechende tüchtige oder gar
überragende Leistungen aufzuweisen hat, hat auch im Falle des Ausbleibens einer Be-
rufung moralischen Anspruch auf Sicherung, Anspruch an die Solidarität der geistig
Schaffenden. Allerdings auf bloße Lehrtätigkeit und Gewohnheitsrecht hin kann ein
solcher Anspruch nicht gestützt werden. Im Falle freier Habilitationen über den nu-
merus clausus hinaus müßte eine überragende Begabung auch Chancen behalten, in
eine bezahlte Stellung einzurücken, die durch zu geringe Leistungen eines früher Ha-
bilitierten frei wird. Bewilligung der Bezüge und Nachprüfung nach sechs oder zehn
Jahren müßte auf Grund einer Beurteilung geschehen, die nach der Art, wie sie bei
Berufungen üblich ist, gewonnen wird (briefliche Gutachten auswärtiger Fachgenos-
sen, Lektüre der Publikationen, Beachtung des Lehrerfolgs). Niemals dürfte die venia
legendi entzogen werden - diese kann nur freiwillig aufgegeben oder auf dem Diszi-
plinarwege abgesprochen werden -, vielmehr kann sich alle Bewilligung und Verwei-
gerung immer nur auf die Gehaltsbezüge richten. Drittens würde das Existenzmini-
mum natürlich nur dem gegeben werden dürfen, der es nicht aus eigenem Vermögen
hat. Ein Anspruch auf Grund von Leistungen allein soll nicht erhoben werden dür-
fen, sondern nur bei hinzukommender Mittellosigkeit oder beschränkten Mitteln.
Der Zweck - die Sicherung des akademischen Nachwuchses in dieser Zeit der allge-
meinen Verarmung - muß erstrebt werden unter möglichst geringer Beschränkung

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