Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0325
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
250

Das Doppelgesicht der Universitätsreform

wir uns behaupten und zu den ihrem Wesen nach uns Verbundenen gelangen, um mit
ihnen gemeinsam in freier Solidarität die große Fahrt zu bestehen.
Wir möchten mit ihnen das Steuer in uns spüren. Dazu ist als Voraussetzung not-
wendig dieses eine:
5. Der bleibende Ursprung: Wahrheit und Wissenschaft345
Was Wahrheit und Wissenschaftsei, kann nicht einfach ausgesagt werden; es wird im Le-
ben der Universität offenbar, ohne je abgeschlossen zu sein. Aber man spricht von Wissen-
schaft, als ob selbstverständlich jeder wisse, worum es sich handle (wenn z.B. das
Grundgesetz der Bundesrepublik bestimmt: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und
Lehre sind frei«, Artikel 5, 3). Das Vorhandene braucht, so scheint es, nur durch Ver-
fassung geschützt und durch Organisation betrieben zu werden, dann entfaltet es sich.
So aber ist es keineswegs. Erst in einer unaufhaltsamen Bewegung, zugleich mit der In-
fragestellung seiner selbst und mit der Kritik jeder eingenommenen Position zeigt sich, was
Wahrheit und Wissenschaft sei. Wenn der Mensch die Wissenschaften als ein Moment
89 des Offenbarwerdens der Wahrheit ergreift, | so braucht er durchaus nicht vorher und
braucht er nie endgültig zu wissen, was Wahrheit und Wissenschaft im Ganzen sind.
Es ist genug, von ihnen ergriffen zu sein.
Etwas, was weder aus der Gesellschaft noch aus dem Staat, sondern nur aus dem
ursprünglichen Wissenwollen346 verstehbar ist, das ist dieses Übernationale, Abend-
ländische, Menschheitliche, dem an der Universität gedient wird,347 womit zugleich
ihre anderen auf Staat und Gesellschaft bezogenen Aufgaben Erfüllung finden. Ver-
wirklichen kann sich die Universität aus dem ursprünglichen Wissenwollen nur, wenn
Gesellschaft und Staat es wollen.
Was dieser Ursprung eigentlich ist, dessen Wirksamkeit in uns so lebendig sich be-
zeugt, ist von der Philosophie durch die Jahrtausende auf mannigfache Weise zu den-
ken und geradezu auszusprechen versucht worden. Am wenigsten mißverständlich fin-
den wir diesen Ursprung vielleicht in der Kantischen Idee;348 dann, zwar uns fern und erst
zu deuten, aber beschwingend bei Plato; auf eine zweideutige Weise, daher verführend
bei Fichte, Schelling, Hegel (diese untereinander abweichend, aber gemeinsam in einem
von Kant radikal sich entfernenden >Idealismus<). Wenn so das ursprüngliche Wissen-
wollen, die Einheit der Erkenntnis, das Prinzip der Wahrheit, die allumgreifende Idee
philosophisch in bestimmten Formen ausgesprochen wurden, dann sind solche Deu-
tungen nicht selber als objektive Erkenntnis des Erkennens für immer gültig. Sie können
durch ihre spekulative Kraft mit bestimmten Formulierungen das erwecken, was dann
selber solche Objektivierungen als vermeintliches Gewußtsein wieder abwirft.
Praktisch sehen wir den Ursprung wirksam in der Urteilskraft der seltenen Män-
ner, die, aus diesem Raum her denkend, für das Konkrete der Universitätsstruktur die
einfachen Grundlinien erfassen, vorschlagen und verwirklichen. Das hat Wilhelm von
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften