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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0354
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961] 279
fertigt wird die Passivität des Wollens, das verantwortungslose Geschehenlassen. Es ist
aber Verrat gegen den Geist, im vermeintlichen Wissen von seiner Ohnmacht nicht
mehr eigentlich zu wollen.
Dagegen steht zum mindesten in jedem Einzelnen die ihm mögliche Erfahrung der
Macht des Geistes, die Ordnung in seinem Leben schafft, ihm Lenkung und Kontinui-
tät gibt. Dagegen steht dann mächtiger die Kooperation solcher vernünftiger, von der
Idee erfüllter Menschen. Dagegen steht vor allem nicht ein anderes »Meinen«, son-
dern ein anderes Tun.
Die soziologistische Denkungsart, in ihren Grenzen berechtigt und, wo wirklich
empirisch geforscht wird, ergiebig, ist als beherrschende Auffassungsmanier in der po-
litisch noch freien Welt für diese selbst eine große Gefahr (die nur durch Überzeugung,
nicht durch Zwang, nur durch den die Wahrheit wollenden Menschen selbst, nicht
durch irgendein Machen überwunden werden kann). Während es den Leuten oppor-
tun scheint, ständig von Freiheit zu reden (wie es auch in den Ländern totaler Herr-
schaft geschieht), hat jene soziologische Intellektualität, zumeist bloßes Gerede (Max
Weber sagte: das Meiste, was unter dem Namen Soziologie geht, ist Schwindel),377
durch das Bewußtsein der Ohnmacht des Geistes Verwandtschaft mit dem Denken in
der totalitären Welt. Sie hat nur eine andere Gestalt unter den Bedingungen der poli-
tisch freien Welt, deren Publizität, Zensurfreiheit, Rechtsschutz - die im Totalitären
verloren sind - sie benutzt. Durch diese Denkungsart werden Menschen vorgebildet
und bereit gemacht für den (im Augenblick der Katastrophe wie 1933) schnellen Ver-
fall an totalitäre Herrschaft. Die »freischwebende Intelligenz«378 ist Schrittmacher für
die zur Funktion der Gewalt gewordene Intelligenz.
Diese Vergegenwärtigungen bedeuten für die Idee der Universität: Jeder Einzelne
kann von ihr sich ergreifen lassen, von ihr durchdrungen werden und für sie wirken.
Aber er kann sie auch verleugnen. Die Folge der Verleugnung ist, daß alles, was in der
Wirklichkeit der erfahrenen und zugleich gewollten Idee | ernst ist, als irreal, überholt,
altmodisch, als ohnmächtiges Wünschen der Weltfremdheit verworfen wird.
Der behaupteten Unentrinnbarkeit des soziologisch erfaßten Geschehens kann an
der Universität jeder Einzelne entgegenwirken durch die Weise seines Studiums, durch
das Ethos seiner inneren Haltung, sein mithervorbringendes Teilhaben an den Sachen.
Der eigentliche Forscher, Gelehrte, Denker, der wissenschaftliche und philoso-
phische Mensch sieht ehrfürchtig das Dasein der großen persönlichen Gestalten der
Vergangenheit. Er schützt, soweit seine Kräfte reichen, die gegenwärtig lebenden,
die er erkennt. Er weiß, daß das Schicksal der Universität ganz und gar abhängt von
dem Rang der Persönlichkeiten, die an ihr wirken. Alle, die den Eintritt in die Lauf-
bahn durch Habilitation und die Auslese durch Berufungen bestimmen (Fakultäten
und Repräsentanten des Staats) müssen ständig wissen, daß an dieser Stelle die größ-
ten Entscheidungen liegen. Der Rang des Forschers darf nicht auf seine Funktion und
Leistung reduziert, sondern muß in der umgreifenden Wirklichkeit des Geistes, dem

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