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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0382
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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| II. Die Aufgaben der Universität 62

Der Student kommt zur Universität, um Wissenschaften zu studieren und sich für ei-
nen Beruf vorzubereiten. Trotzdem Aufgabe und Situation scheinbar klar sind, ist der
Student oft ratlos. Zunächst überwältigt ihn die Menge des Lernbaren, er fragt, worauf
es vor allem ankommt. Einführungsvorlesungen, Studienpläne helfen nur zum Teil
über diese Schwierigkeiten hinweg; letzthin muß er sich in der Welt der Vorlesungen
und Übungen doch selbst zurechtfinden. Das liegt in der Natur der Sache und ist vom
rechten Studenten zu leisten*.
| Aber der Student erwartet von der Universität mehr. Zwar studiert er ein Fach und 63
denkt an einen Beruf. Jedoch die Universität, wenn sie ihm in ihrem ererbten Glanz
erscheint, repräsentiert das Ganze der Wissenschaften, und er hat Ehrfurcht vor die-
sem Ganzen; er erwartet von diesem etwas zu spüren. Der Weg zur Wahrheit soll ihm
aufgetan, die Welt und die Menschen sollen ihm klar werden, und das Ganze soll sich
ihm in einer unendlichen Ordnung, einem Kosmos, darstellen. Wissenschaftliche Ar-
beit ist der Idee nach bezogen auf das Ganze des Wißbaren.
Auch das ist nicht genug. Der junge Student fühlt das Leben ernster, weil für ihn
selbst noch entscheidungsvoller, als in späterem Alter, er fühlt sich bildsam und vol-
ler Möglichkeiten. Er ist sich bewußt, daß es zu gutem Teil auch an ihm liegt, was aus
ihm wird. Er fühlt, daß es auf die alltägliche Lebensführung ankommt, auf jede Stunde
und jede innere Regung seiner Seele. Der junge Mensch will erzogen sein, sei es in Un-

i Theodor Mommsen, Rede bei Antritt des Rektorates (15. Oktober 1874, in: Theodor Mommsen,
Reden und Aufsätze, Berlin 1905, S. 15 f.):
»Kein formales Gesetz schreibt Ihnen vor, wie Sie Ihre akademischen Jahre zu benutzen haben;
keine Zwischenprüfung fragt nach, ob diese Benutzung überhaupt und in welcher Weise sie
stattgefunden hat. Kein Volk in der Welt setzt auf seine Jugend das gleiche Vertrauen, wie es das
unserige tut; und die akademische Jugend hat dies Vertrauen bis jetzt gerechtfertigt. Gehen Sie
auch ferner Ihre eigenen Wege - und wenn der Weg oftmals in die Büsche leitet und man wohl
denkt, daß es ein Irrweg sei, öfter als man zu hoffen wagen durfte, hat sich gezeigt, daß viele Wege
zum gleichen und rechten Ziel führen können. Bei jedem rechten Menschen von Eigenart ist der
eigene Weg für ihn der beste; und jedem von Ihnen steht er offen ...
Es gibt bequemere Wege ins Leben als den, der durch unsere Hörsäle führt; darum eben gehen
diesen Weg die Besten. Die Matrikel des deutschen Studenten ist immer noch ein Adelsbrief, durch
den er eintritt in die Reihe der freiwilligen Kämpfer für Recht und Wahrheit und geistige Freiheit.
Sie ist aber auch ein Schuldbrief: wer sie annimmt, verpflichtet sich damit in diesem Kampf sei-
nen Mann zu stehen und die schlimmen Feinde aller geistigen Entwicklung, die Trägheit, die Viel-
tuerei, die Scheinbildung nicht über sich Herr werden zu lassen.«
 
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