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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0453
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

18. Jahrhundert ist sowohl der Maßstab dieser Verurteilung wie die Quelle des Vertrau-
ens, daß wir aus unserem Ursprung uns wiederherstellen können, um mitzuwirken an
dem Offenbarwerden der Wahrheit in der Welt. Unser deutsches Bewußtsein an der
Universität ist die Anerkennung des Anspruchs, der an uns aus unserer besten Über-
lieferung ergeht, die weltoffen die abendländische und Menschheitsüberlieferung in
sich aufgenommen hatte.
g) Die einzelne Universität
In der Geschichte sind die großen geistigen Epochen meistens von einer einzelnen
Universität eingeleitet worden, so war es anfangs des 18. Jahrhunderts Halle, dann Göt-
tingen, dann gegen Ende des Jahrhunderts Jena, dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts
das neugegründete Berlin. Es gibt einen Geist der einzelnen Universität, einen Genius
loci,105 der als Hintergrund eine geschichtliche Atmosphäre hat, aber jederzeit leben-
dig sein und neugeschaffen werden muß.
161 | Die alten europäischen Universitäten haben durch Erinnerung und gegenwär-
tige Zeugen die unersetzliche Atmosphäre eines geschichtlichen Geistes. Eine solche
kann nur wachsen, nicht gemacht werden. Diese Universitäten geben ihrer Stadt, die
sie trägt, rückwirkend einen Charakter. In den kleineren Städten ist er leichter zu be-
wahren, aber war selbst noch in Berlin fühlbar. Alle Neugründungen von Universitäten
haben zunächst etwas kahles. Sie vermögen ihrer Stadt durchaus keinen neuen Cha-
rakter zu geben. Es fehlt die große, für immer zu erinnernde Blütezeit. Daher fehlt die
Beschwingtheit, der Anspruch aus der Umwelt.
Dazu ist es von großem Vorteil, wenn ein Staat, auch ein kleiner Staat seine einzige
Universität,413 zumal unter hochsinnigen Männern ihrer Verwaltung, zum Gegenstand
seiner Fürsorge und Ehre macht. Sofern in einer Zeit überhaupt die Bedingungen da-
für gegeben sind, kann eine solche Universität zu besonderer Blüte gebracht werden.
Dann vermag unter glücklichen Umständen die Anziehungskraft eines Ortes für junge
Menschen, für Dozenten und Studenten so groß zu werden, daß eine schöpferische
Zeit an dieser Universität anbricht, weil die besten Kräfte sich hier vereinen.
Der Agon an den Universitäten und der Agon der Universitäten untereinander ist
ein Ansporn zur Anstrengung der Kräfte, zumal mehrere zugleich hohen Rang und jede
in der Rangordnung irgendwo ihren einzigartigen Wert haben können. Der Gedanke,
man solle die Männer von Rang verteilen, weil sie dann mehr zur Geltung kämen, der
Gedanke etwa insbesondere für die Philosophie, an einer Universität müsse ein Philo-
soph sozusagen Alleinherrscher in seinem Felde sein, ist irrig. Jedes edle Streben muß die
schärfste Konkurrenz neben sich wünschen, dorthin drängen, wo die Bedeutenden und
Überlegenen sind. Und objektiv entfaltet sich der einzelne besser und reicher in einer
Luft, die es ihm schwer macht, die ihn erregt, zur Reaktion und zur Anspannung drängt.
Eine zentrale Verwaltung dagegen, die alle ihr unterstellten Universitäten gleich-
mäßig fördern will, ist nicht günstig, weder für das Blühen einer einzelnen Universi-
 
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