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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0452
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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Sie ist verwandt der Idee der Kirche. Aber sie besteht nicht durch zentrale Organi-
sation und Lenkung, wie die katholische Kirche, sondern zeigt sich (wie der Buddhis-
mus) in der gegenseitigen Berührung durch das Bewußtsein der Zusammengehörig-
keit. Man erkennt sich gegenseitig als das gemeinsame Leben für die Wahrheit im
Weltkampf und Wetteifer für das hohe Ziel.
Darum hat die Universität als solche nicht im Kampf der Nationen Stellung zu neh-
men. Alle Glieder der Universität sind als Menschen ihrem Volke, als Bürger ihrem
Staate zugehörig. Aber als Glieder der Universität, als Fakultät und Senat, haben sie
nicht die Aufgabe, politische Kundgebungen zu machen,112 selbstverständlich keine
parteipolitischen, aber auch keine nationalen, weil sie als Universität allein durch gei-
stiges Schöpfertum der Nation und der Menschheit dienen. Die Reinheit der Idee wird
getrübt dadurch, daß sie in ihr inadäquate Beziehungen gebracht wird. Auch wenn alle
Glieder als Menschen und Staatsbürger völlig einig sind, ist es ein Flecken für die Idee,
wenn sie diese politische Einigkeit durch die Universität äußern, sie sollen es außer-
halb ihrer tun. Das Nationale ist wie alles ein Gegenstand der Forschung, aber nicht
Ziel und der Sinn des Universitätslebens.
Jeder Deutsche wird als Glied der Universität das Ansehen seiner Korporation und
deren Leistungen als einen Ruhm der Nation empfinden, aber als sachlicher Mensch
dient er an der Universität einer nicht nationalen, sondern einer abendländischen
Idee, die er am liebsten für eine Menschheitsidee halten würde. Darum wird er die Ver-
tretung der Interessen der Nation nicht als eine Aufgabe der Universität ansehen und
sich der Organe der Universität nur zu sachlich-wissenschaftlichen und Erziehungs-
aufgaben, zu keinerlei anderen, bedienen.
Die Universität kann als Institution auch nationale Großtaten nicht ehren, ohne ihre
Grenzen zu überschreiten und sich | eine Wichtigkeit anzumaßen, die ihr nicht zu-
kommt. Ruhmestaten von Generalen und Staatsmännern kann man nicht durch die
Verleihung des Doctor honoris causa auszeichnen. Die verleihende Fakultät wirft sich
zum Richter auf über Gesinnungen oder über den nationalen oder weltpolitischen Wert
der Taten, sie würde sich ein Urteil anmaßen über eine Sphäre, für die sie nicht das Fo-
rum ist.
Die abendländische Idee der Universität kann ein Volk nicht für sich als sein Eigen-
tum beanspruchen. Aber es darf auf Grund seiner geistigen Vergangenheit sich mit
mehr oder weniger Bewußtsein unter diesen Anspruch stellen. Unsere deutschen Uni-
versitäten haben sich von jeher manche nationalistische Entgleisungen wie wohl alle
Universitäten der Welt zuschulden kommen lassen. Soweit aber sie oder ihre Glieder
in den Jahren des Nationalsozialismus sich in ihrer geistigen Arbeit und in Handlun-
gen zu Anpassungen und Umbiegungen haben zwingen lassen oder gar aus unbegreif-
licher Überzeugung an den Kräften des Regimes fördernd teilgenommen haben, sind
sie bedingungslos zu verurteilen, vor allem wegen des dadurch begangenen Verrats an
der Universitätsidee.412 Die hohe Überlieferung der deutschen Universitäten seit dem

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