Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0469
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
394

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Die Versuche der Übernahme von in ganz anderen Traditionen wurzelnden Syste-
men sind überhaupt fragwürdig. Die Reform muß sich vielmehr bei uns im Rahmen
unserer eigenen Tradition bewegen, wofür sich das in der Bildungsuniversität des vo-
rigen Jahrhunderts wesentlich unerfüllt gebliebene Humboldtsche Universitätskon-
zept als wirklicher Rechtsgrund anbietet.
Insgesamt kreisen alle hier erörterten Reformvorschläge eingestandener- oder un-
eingestandenermaßen um das Daseinsrecht der Universität selber. Auch wo dieses ra-
dikal verneint und die Umwandlung der bestehenden Universität in ein Sammelinsti-
tut von Fachhochschulen nach den bisher in ihr vertretenen Fakultäten vorgeschlagen
wird, erweist sich ihre Notwendigkeit auf dem Umwege einer dann als unerläßlich er-
scheinenden Institution für »geistige Synthese« (im Sinne etwa auch einer Doktoran-
den-Akademie) als unabweisbar. Der Vorschlag zu ihrer Retablierung im »klassischen«
Sinne der Bildungsuniversität drückt analog dazu das Bedürfnis nach einem pädago-
gisch-humanistischen Mittelpunkt der Wissenschaftsorganisation im ganzen aus,
wenn er darüber auch in eine soziologisch fiktiv gewordene Bewertung der akademi-
schen Berufe nach gesellschaftlichen Rängen gerät. Die auf die Reform der inneren
Struktur der bestehenden Universität zielenden Vorschläge aber, die dem Unterrichts-
und Ausbildungswesen den Vorzug geben, wollen die Universität zumindest partiell
bewahren und retten, weil es »gegenüber totalitären Einheitsparolen ... die geistige
Freiheit zu verteidigen« gelte (Gedanken zur Hochschulreform, Hofgeismarer Kreis).431
Jedoch: die Freiheit läßt sich weder verteidigen noch retten, es sei denn, man be-
zeuge sie. Die Freiheit läßt sich auch nicht teilen. Wie die Idee der modernen Wissen-
schaftlichkeit selber auf dem Prinzip der ungeteilten Freiheit und Einheit von For-
schung und Lehre beruht, so auch eine Institution, die ihrer Pflege, Erweiterung und
Vermittlung dienen soll: die Universität.
184 | Aber diese dem Geist der modernen Wissenschaftlichkeit wirklich entsprechende
Organisationsform der Universität ist allererst zu schaffen. Denn sie bestand bisher
noch gar nicht. Jeder Versuch der Reformierung der bestehenden Universität in einem
mehr oder minder restaurativen Sinne ist deshalb von vornherein zum Scheitern ver-
urteilt. Alle solche Versuche und Vorschläge haben bisher nur gezeigt, daß es offen-
sichtlich unmöglich ist, eine sinnvolle Reform ins Werk zu setzen, wenn man kein fe-
stes Konzept der geistigen Gestalt dessen, was die künftige Universität sein soll, besitzt.
3. Der Rechtsgrund der Universität als geistiger Mitte der Wissenschaftsorganisation
Die Frage nach dem Rechtsgrund der Universität als geistiger Mitte der Wissenschafts-
organisation ist in ihrer philosophischen Bedeutung zuerst von Kant aufgeworfen wor-
den. In seiner Abhandlung über den »Streit der Fakultäten« unterzog er die Struktur
der Gelehrtenrepublik des absolutistischen Staates einer ebenso respektvollen wie iro-
nischen Analyse.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften