Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
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Kant, der die Autonomie der modernen Wissenschaft als Forschung philosophisch
allererst begründet hat, versuchte der überlieferten Organisationsform der Universi-
tät nach ihrer Einteilung in Fakultäten Vernunftprinzipien zu unterlegen. Dabei kon-
trastierte er den herkömmlichen drei oberen Fakultäten, der Theologischen, Juristi-
schen und Medizinischen Fakultät, deren Aufgaben der Staat vorschreibt, die
Philosophische Fakultät, die nur unter ihrer eigenen Gesetzgebung und nicht unter
der einer »Regierung stehend gedacht werden müsse«.432
Mit diesem Postulat einer freien, von den Weisungen der Regierung unabhängi-
gen Fakultät, der Philosophischen Fakultät, in die Kant die traditionelle untere Arti-
stenfakultät umgewandelt wissen wollte, wurde das Prinzip der modernen Universi-
tät zum ersten Male ausgesprochen. Kant zog den Trennungsstrich zwischen der
mittelalterlichen Gelehrtenrepublik und der dem Geist der modernen Wissenschaft-
lichkeit entsprechenden Universität, die er mit seiner Bestimmung der Philosophi-
schen Fakultät indirekt forderte. Diese Proklamation | der modernen Universität ge-
hört zu den grundlegenden geistigen Dokumenten einer freien Menschenwelt. Ihr in
der Formulierung so umständlicher, an Gehalt so gewichtiger und bedeutungsvoller
Wortlaut sollte jedem auf die Gemeinbürgschaft für den Geist der Wissenschaft Ver-
pflichteten vertraut sein:
»Auf einer Universität muß aber auch ein solches Departement gestiftet, das ist:
es muß eine philosophische Facultät seyn. In Ansehung der drey obern dient sie dazu,
sie zu controlliren und ihnen eben dadurch nützlich zu werden, weil auf Wahrheit (der
wesentlichen und ersten Bedingung der Gelehrsamkeit überhaupt) alles ankommt;
die Nützlichkeit aber, welche die oberen Facultäten versprechen, nur ein Moment vom
zweyten Range ist ... Die philosophische Facultät kann also alle ihre Lehren in An-
spruch nehmen, um ihre Wahrheit der Prüfung zu unterwerfen. Sie kann von der
Regierung, ohne daß diese ihrer eigentlichen, wesentlichen Absicht zuwiderhandle,
nicht mit einem Interdict belegt werden, und die obern Facultäten müssen sich ihre
Einwürfe und Zweifel, die sie öffentlich vorbringt, gefallen lassen, welches jene zwar
allerdings lästig finden dürften, weil sie ohne solche Critiker, in ihrem, unter welchem
Titel es auch sey, einmal inne habenden Besitz ungestört ruhen und dabey noch des-
potisch befehlen können. -
Nur den Geschäftsleuten jener oberen Facultäten (den Geistlichen, Rechtsbeam-
ten und Ärzten) kann es allerdings verwehrt werden, daß sie den ihnen in Führung ih-
res respektiven Amtes von der Regierung zum Vortrage anvertrauten Lehren nicht öf-
fentlich widersprechen, und den Philosophen zu spielen sich erkühnen; denn das
kann nur den Facultäten, nicht den von der Regierung bestellten Beamten erlaubt
seyn, weil diese ihr Wissen nur von jenen her haben. Die letzteren nämlich, z.B. Pre-
diger und Rechtsbeamte, wenn sie ihre Einwendungen und Zweifel gegen die geistli-
che oder weltliche Gesetzgebung an das Volk zu richten sich gelüsten ließen, würden
es dadurch gegen die Regierung aufwiegeln; dagegen die Facultäten sie nur gegen ein-
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Kant, der die Autonomie der modernen Wissenschaft als Forschung philosophisch
allererst begründet hat, versuchte der überlieferten Organisationsform der Universi-
tät nach ihrer Einteilung in Fakultäten Vernunftprinzipien zu unterlegen. Dabei kon-
trastierte er den herkömmlichen drei oberen Fakultäten, der Theologischen, Juristi-
schen und Medizinischen Fakultät, deren Aufgaben der Staat vorschreibt, die
Philosophische Fakultät, die nur unter ihrer eigenen Gesetzgebung und nicht unter
der einer »Regierung stehend gedacht werden müsse«.432
Mit diesem Postulat einer freien, von den Weisungen der Regierung unabhängi-
gen Fakultät, der Philosophischen Fakultät, in die Kant die traditionelle untere Arti-
stenfakultät umgewandelt wissen wollte, wurde das Prinzip der modernen Universi-
tät zum ersten Male ausgesprochen. Kant zog den Trennungsstrich zwischen der
mittelalterlichen Gelehrtenrepublik und der dem Geist der modernen Wissenschaft-
lichkeit entsprechenden Universität, die er mit seiner Bestimmung der Philosophi-
schen Fakultät indirekt forderte. Diese Proklamation | der modernen Universität ge-
hört zu den grundlegenden geistigen Dokumenten einer freien Menschenwelt. Ihr in
der Formulierung so umständlicher, an Gehalt so gewichtiger und bedeutungsvoller
Wortlaut sollte jedem auf die Gemeinbürgschaft für den Geist der Wissenschaft Ver-
pflichteten vertraut sein:
»Auf einer Universität muß aber auch ein solches Departement gestiftet, das ist:
es muß eine philosophische Facultät seyn. In Ansehung der drey obern dient sie dazu,
sie zu controlliren und ihnen eben dadurch nützlich zu werden, weil auf Wahrheit (der
wesentlichen und ersten Bedingung der Gelehrsamkeit überhaupt) alles ankommt;
die Nützlichkeit aber, welche die oberen Facultäten versprechen, nur ein Moment vom
zweyten Range ist ... Die philosophische Facultät kann also alle ihre Lehren in An-
spruch nehmen, um ihre Wahrheit der Prüfung zu unterwerfen. Sie kann von der
Regierung, ohne daß diese ihrer eigentlichen, wesentlichen Absicht zuwiderhandle,
nicht mit einem Interdict belegt werden, und die obern Facultäten müssen sich ihre
Einwürfe und Zweifel, die sie öffentlich vorbringt, gefallen lassen, welches jene zwar
allerdings lästig finden dürften, weil sie ohne solche Critiker, in ihrem, unter welchem
Titel es auch sey, einmal inne habenden Besitz ungestört ruhen und dabey noch des-
potisch befehlen können. -
Nur den Geschäftsleuten jener oberen Facultäten (den Geistlichen, Rechtsbeam-
ten und Ärzten) kann es allerdings verwehrt werden, daß sie den ihnen in Führung ih-
res respektiven Amtes von der Regierung zum Vortrage anvertrauten Lehren nicht öf-
fentlich widersprechen, und den Philosophen zu spielen sich erkühnen; denn das
kann nur den Facultäten, nicht den von der Regierung bestellten Beamten erlaubt
seyn, weil diese ihr Wissen nur von jenen her haben. Die letzteren nämlich, z.B. Pre-
diger und Rechtsbeamte, wenn sie ihre Einwendungen und Zweifel gegen die geistli-
che oder weltliche Gesetzgebung an das Volk zu richten sich gelüsten ließen, würden
es dadurch gegen die Regierung aufwiegeln; dagegen die Facultäten sie nur gegen ein-
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