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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0526
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Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik

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Religionsgemeinschaften wie umgekehrt auch in der Konfessionalisierung und auch
der Ideologisierung der Politik. Es ist ein heute noch unbewältigter Restbestand des
verhängnisvollsten Erbes der deutschen politischen Geschichte.
Nur die Einsicht in die Notwendigkeit der Trennung konfessioneller Interessen von
den politischen Pflichten kann zur Überwindung dieses Übels führen. Aus diesem
schlimmen geschichtlichen Erbe des Grundsatzes: Cuius regio, eius religio,455 hat sich
jene un-politische Untertanengesinnung entwickelt, die das frühere Deutschland ver-
hindert hat, ein in sich selber freies Staatswesen zu werden, und das es auch gegenüber
totalitären politischen Ideologien so anfällig machte. -
Im Grundgesetz der Bundesrepublik nun ist diese Trennung deutlich vollzogen: Un-
gestörte Religionsausübung, Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses; und, parallel dazu: Freiheit von Wissenschaft und
Kunst, Forschung und Lehre. Zuletzt aber: Niemand darf wegen seiner religiösen oder
politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.456 Dieses letztere
Grundrecht ist das entscheidende.
Wenn man nun aus diesem so klar definierten Grundrecht, wie es vielfach geschieht,
den Anspruch auf eine zahlen- und damit machtmäßige paritätische Interessenförde-
rung konfessioneller Gemeinschaften durch den Staat ableiten will, so geschieht das
in Verkennung des Grundgesetzes.
Für den Bereich der Forschung und Lehre, der Universität, gilt nach dem Grundgesetz
eindeutig: Die garantierte Freiheit 1. des Glaubens und 2. der Lehre und Forschung for-
dert zugleich die strikte institutionelle Trennung beider. Die Folge ist: Im Schul- und
Erziehungswesen ist den konfessionellen Gemeinschaften freier Raum für ihre unge-
hinderte Entfaltung zu gewähren. Im Bereich der Wissenschaft dagegen und der insti-
tutionellen Mitte ihres Lebens dürfen Glaubens- und Weltanschauungskriterien für
die Errichtung von Lehrstühlen, für Habilitationen und Berufungen nicht zur Geltung
gebracht werden.
Jaspers: Ja, in der Tat. Hier liegt ein entscheidender Punkt für die Freiheit des geisti-
gen Lebens der Universität. Die Spaltung von Lehrgebieten nach solchen Gesichts-
punkten beschränkt die Lehr- und Forschungsfreiheit auf den jeweils gebundenen
Lehrstuhl. Sie hebt den Charakter eines Universitätslehrstuhles auf.
Wie verhielt es sich früher mit der Forderung der Lehrfreiheit und der Einrichtung kon-
fessionell gebundener Lehrstühle?
Rossmann: Die konfessionelle Doppelbesetzung von Lehrstühlen für Philosophie
und Geschichtswissenschaft wurde im 19. Jahrhundert in Preußen als politischer Tri-
but an die katholische Bevölkerung Schlesiens und der Rheinlande an den Universitä-
ten Breslau und Bonn eingeführt. Die Politisierung der katholischen Kirche durch Bis-
marcks Kulturkampf verstärkte dann die Tendenz zu diesem Paritätsprinzip. So wurde
1903 der Lehrstuhl für neuere Geschichte an der damaligen Universität Straßburg in
ein konfessionell bestimmtes Doppelordinariat umgewandelt. Das geschah trotz des
 
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