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Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik
senen Weltbilds von absolutem Glaubenscharakter kann es wie keine Forschungs- so
auch keine Lehrfreiheit geben. Analog schließt auch die einem wissensideologischen
Dogma unterstellte Universität wie die marxistische die volle Lehr- und Forschungs-
freiheit aus.
Jaspers: Doch ist zu unterscheiden: Religion und deren theologische Auslegungen
besitzen ihren Grund in einem unbedingten, zum ganzen Menschsein gehörenden
und seine Freiheit bedingenden Gottes- und Wahrheitsglauben. Ideologisches Den-
ken aber gründet sich auf einer fälschlich absolut gesetzten, weil ihrem Wesen nach
stets nur partikularen Wissensvoraussetzung, unter deren totalem deterministischen
Anspruch sowohl die Freiheit des Erkennens wie die Freiheit des Handelns negiert
werden.
Rossmann: Aber auch die dogmatische Auslegung religiösen Glaubens kann die Ge-
stalt von Ideologie annehmen. Das tut sie dann, wenn sie auf Machtausschließlichkeit
bedacht ist und sich so an der Freiheit des Denkens selber vergreift. Sie erklärt sich dann
selbst zu etwas, was sie gerade nicht sein kann, ohne sich selbst untreu zu werden: zu
einer Weltanschauung wie andere ideologische Weltanschauungen totalitären Charak-
ters auch. Damit freilich gefährdet sie zugleich auch die Freiheit ihrer eigenen Glau-
bensvoraussetzung. Gegen solche Ideologisierung der Theologie wendet sich jedoch
der lebendige Glaube selber, der stets mächtiger ist als jede seiner Auslegungen. Mit die-
37 sem Glauben aber ist der modernen Wissenschaft gemeinsam, daß sie im Bewußt | machen
gerade der grundsätzlichen Relativität alles empirischen Faktenwissens, illusionslos
Wahrheit will und daß Freiheit ihre Bedingung ist.
Lehrfreiheit ist Voraussetzung geistigen Lebens: im Denken und Erkennen, im Philo-
sophieren wie in der Wissenschaft.
Jaspers: Wie verhält es sich aber mit den konfessionellen Hochschulen?
Rossmann: Konfessionelle, theologische Schulen sind Lehranstalten und nicht In-
stitutionen der freien Wissenschaft im Sinne von Universitäten. An ihnen dient Wis-
senschaft in zweckbedingter und beschränkter Auswahl, um Erziehung und Unter-
richt im Sinne eines in Lehre und Bekenntnis fixierten Glaubens zu leisten. Sie gehören
in den allgemeinen Bereich des staatlichen und kirchlichen Erziehungswesens. Sie
sind Schulen und keine Universitäten und diesen nicht gleichzustellen.
Jaspers: Wie steht es weiter dann mit der Forderung, an Universitäten für Gebiete,
in denen theologische und weltanschauliche Fragen zum Problem der Forschung und
Lehre werden (wie in der Philosophie, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie),
parallele, durch ihre Inhaber konfessionell gebundene Lehrstühle einzurichten,
oder, wie man sagt, diese Fächer »paritätisch« vertreten zu lassen?
Rossmann: Mit dieser Frage haben Sie ein Problem angeschnitten, dessen größte
Schwierigkeit eigentlich darin besteht, daß es kein echtes Problem ist oder sein sollte.
Mir scheint es eine Art politischen Pseudoproblems zu sein. Es hat seinen Ursprung in
der Konfessionsspaltung und der mit dieser verbunden gewesenen Politisierung der
Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik
senen Weltbilds von absolutem Glaubenscharakter kann es wie keine Forschungs- so
auch keine Lehrfreiheit geben. Analog schließt auch die einem wissensideologischen
Dogma unterstellte Universität wie die marxistische die volle Lehr- und Forschungs-
freiheit aus.
Jaspers: Doch ist zu unterscheiden: Religion und deren theologische Auslegungen
besitzen ihren Grund in einem unbedingten, zum ganzen Menschsein gehörenden
und seine Freiheit bedingenden Gottes- und Wahrheitsglauben. Ideologisches Den-
ken aber gründet sich auf einer fälschlich absolut gesetzten, weil ihrem Wesen nach
stets nur partikularen Wissensvoraussetzung, unter deren totalem deterministischen
Anspruch sowohl die Freiheit des Erkennens wie die Freiheit des Handelns negiert
werden.
Rossmann: Aber auch die dogmatische Auslegung religiösen Glaubens kann die Ge-
stalt von Ideologie annehmen. Das tut sie dann, wenn sie auf Machtausschließlichkeit
bedacht ist und sich so an der Freiheit des Denkens selber vergreift. Sie erklärt sich dann
selbst zu etwas, was sie gerade nicht sein kann, ohne sich selbst untreu zu werden: zu
einer Weltanschauung wie andere ideologische Weltanschauungen totalitären Charak-
ters auch. Damit freilich gefährdet sie zugleich auch die Freiheit ihrer eigenen Glau-
bensvoraussetzung. Gegen solche Ideologisierung der Theologie wendet sich jedoch
der lebendige Glaube selber, der stets mächtiger ist als jede seiner Auslegungen. Mit die-
37 sem Glauben aber ist der modernen Wissenschaft gemeinsam, daß sie im Bewußt | machen
gerade der grundsätzlichen Relativität alles empirischen Faktenwissens, illusionslos
Wahrheit will und daß Freiheit ihre Bedingung ist.
Lehrfreiheit ist Voraussetzung geistigen Lebens: im Denken und Erkennen, im Philo-
sophieren wie in der Wissenschaft.
Jaspers: Wie verhält es sich aber mit den konfessionellen Hochschulen?
Rossmann: Konfessionelle, theologische Schulen sind Lehranstalten und nicht In-
stitutionen der freien Wissenschaft im Sinne von Universitäten. An ihnen dient Wis-
senschaft in zweckbedingter und beschränkter Auswahl, um Erziehung und Unter-
richt im Sinne eines in Lehre und Bekenntnis fixierten Glaubens zu leisten. Sie gehören
in den allgemeinen Bereich des staatlichen und kirchlichen Erziehungswesens. Sie
sind Schulen und keine Universitäten und diesen nicht gleichzustellen.
Jaspers: Wie steht es weiter dann mit der Forderung, an Universitäten für Gebiete,
in denen theologische und weltanschauliche Fragen zum Problem der Forschung und
Lehre werden (wie in der Philosophie, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie),
parallele, durch ihre Inhaber konfessionell gebundene Lehrstühle einzurichten,
oder, wie man sagt, diese Fächer »paritätisch« vertreten zu lassen?
Rossmann: Mit dieser Frage haben Sie ein Problem angeschnitten, dessen größte
Schwierigkeit eigentlich darin besteht, daß es kein echtes Problem ist oder sein sollte.
Mir scheint es eine Art politischen Pseudoproblems zu sein. Es hat seinen Ursprung in
der Konfessionsspaltung und der mit dieser verbunden gewesenen Politisierung der