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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0527
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Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik

energischen Protestes der Mehrzahl der deutschen Professoren mit Theodor Momm-
sen174 und Lujo Brentano457 als Wortführern.458
Auch heute gibt es an verschiedenen unserer Universitäten solche paritätisch besetz-
ten Lehrstühle. Doch ist diese Form der Parität bisher nicht zum allgemeinen Prinzip
erhoben worden. Freilich liegt bei der zunehmenden Tendenz der Verschulung unse-
rer jetzigen Universitäten die Gefahr nahe - in Berufung auf das fragwürdige Beispiel
von manchen Pädagogischen Hochschulen daß es zum Unheil des Geistes der Uni-
versität zum allgemeinen Prinzip gemacht werden könnte.
Um selbst die Möglichkeit dessen auszuschließen, bedarf es einer neuen, klaren Bestim-
mung des Begriffs der Universität selber. Was an Schulen und Lehranstalten des Staates
und der Kirchen, je nach deren Bestimmung, legal sein kann, ist dies keineswegs auch
für die Universität. Es wäre die Preisgabe ihrer Idee, wenn man bestimmte Gebiete der
Lehre und Forschung an selber wissenschaftsfremde Voraussetzungen knüpfen wollte.
Jaspers: Sie berühren damit das immer wieder umstrittene und zumeist mißverstan-
dene Postulat der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaften.459 Was verstehen Sie
unter diesem Postulat?
38 | Rossmann: Voraussetzungen in den Wissenschaften sind jeweils hypothetische
und niemals absolute Voraussetzungen in der Art aller Glaubensvoraussetzungen.
Ohne hypothetische Voraussetzungen kann im Forschen kein Schritt getan werden.
Zum Prozeß des Forschens selber aber gehört die ständige Klärung dieser Vorausset-
zungen.
Jaspers: Ich möchte hinzufügen: Das gleiche Problem liegt Max Webers berühmter
Forderung der Wertfreiheit der Wissenschaft zugrunde.460 Diese Forderung bedeutet
keineswegs, wie sie gemeinhin aufgefaßt wird, Aufhebung der Wertungen, sondern
die wertungsfreie Analyse der Wertungen selber.
Es macht erst den Menschen zum ganzen Menschen, wenn er beides vermag: in einem
bedingungslosen Glauben sein Leben einzusetzen und doch zugleich seinen wie jeden
anderen Glauben wissenschaftlich zu analysieren. Diese wissenschaftliche Haltung
macht frei, ermöglicht Klarheit und Toleranz, Distanz gegenüber den Dingen und sich
selbst. Sie ist der Geist der freien Universität.
Rossmann: Das bringt zur Einsicht, daß Wissenschaftlichkeit nicht das letzte ist, daß
sie niemals der letzte Zweck sein kann. Aber Wissenschaft im Sinne dieser so verstande-
nen Voraussetzungslosigkeit ist der lebendige Geist der Universität, an der sich derart
alle Glaubensweisen und Lebensformen in einem gemeinsamen Elemente begegnen.
Sie dehnt sich - so hat Wilhelm von Humboldt es ausgedrückt - auf das ganze Wesen des
Menschen aus:461 nicht nur in seinem Denken, sondern auch in seinem Handeln.
Jaspers: Das ist auch meine Überzeugung. - Sie sprechen von der unendlichen Be-
wegung der modernen Wissenschaftlichkeit, ohne Abschluß und Vollendung, von ih-
rer Erziehung zur Wahrhaftigkeit und zum Wissen des Wissens, das heißt: wie wir je-
weils, mit welchen Methoden und in welchen Grenzen, ein Wissen gewinnen. Wir
 
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