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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0528
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Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik

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leben in dieser Verfassung, die uneingeschränkt wissen will. Aber noch einmal: Ist das
etwa genug für den Menschen?
Rossmann: Nein. Wissenschaft bleibt Mittel, wenn sie als Mittel auch volle Autono-
mie innerhalb ihrer Grenzen besitzen muß, um überhaupt Wissenschaft zu sein. Nur
so entspricht sie dem menschlichen Wahrheitswillen, der sich nicht einschränken
läßt. Wohl aber ist sie vom Menschen in seinem Leben, das an keinem jeweiligen Wis-
senshorizont seine Grenze hat, ständig zu ergänzen, ist sie durch die Substanz des Men-
schen selber zu erfüllen.
Jaspers: Noch einmal komme ich auf die Frage nach der Errichtung paralleler Lehr-
stühle für dasselbe Gebiet nach dem Gesichtspunkt paritätischer Vertretung der Kon-
fessionen zurück. Müssen sie für die Universität bedingungslos abgelehnt werden?
Rossmann: Ja. Der Geist der Wissenschaftlichkeit selber fordert es. Ihm gegenüber
ist solche Parität schlechthin unwahr. Man kann logischerweise hier insofern nicht
einmal von Parität sprechen, als dem einen Lehrstuhlinhaber uneingeschränkte Lehr-
und Forschungsfreiheit zuerkannt wird, dem anderen aber nicht. Auch die Existenz
solcher Lehrstühle an manchen Universitäten ist kein Rechtsgrund. Hier gilt Momm-
sens Wort: Ihr »Bestehen ist (zwar) unbestritten, minder aber das Recht.«462 - Doch ist,
wenn über die Sache selber Klarheit herrscht, das Bestehenlassen solcher traditionel-
len Lehrstühle vielleicht ein praktischer, zeitlich begrenzter Kompromiß. Nur muß
Klarheit darüber sein und dürfen aus deren Existenz keine verallgemeinernden Rechts-
ansprüche abgeleitet werden.
Jaspers: Dagegen besitzen die konfessionellen Theologien das Recht, an der Univer-
sität durch eigene Fakultäten vertreten zu sein. Dieses Recht leitet sich aus geschicht-
lichen Gründen her, die sich wissenschaftlich rechtfertigen lassen. Voraussetzung ist,
daß die Professoren dieser Theologien durch geistige Leistung und wissenschaftliche
Forschung erwiesen sind. Nur unter dieser Bedingung wird es für den Gesamtgeist der
Universität dienlich sein, wenn sie auch ihr fremde geistige Mächte in sich aufnimmt.
Denn die geistige Konkurrenz, die ständige Erinnerung an das Vielleicht des Glaubens
kann selber eine Bereicherung des wissenschaftlichen Lebens sein: sofern die Univer-
sität die theologische Fakultät und nicht umgekehrt diese die Universität beherrscht.
Das führt uns noch einmal auf die Frage nach dem Verhältnis der Lehrfreiheit zur Glau-
bensfreiheit zurück. Wie verhalten sich beide zueinander?
Rossmann: Glaubens- und Lehrfreiheit sind als einander analog zu verstehen. Es ist
irrig, zu meinen, daß religiöser Glaube durch die Forschungs- und Lehrfreiheit bedroht
werde. Nur die als Ideologie unter dem Machtanspruch der Ausschließlichkeit auftre-
tende Pseudowissenschaft - der Wissenschaftsaberglaube in jeglicher Gestalt - bestrei-
tet das Recht des Glaubens. Nicht minder aber bestreitet sie die Freiheit der Wissen-
schaft, der Forschung und Lehre. In dem ideologischen Wissenschaftsaberglauben
haben religiöser Glaube und Wissenschaft den gleichen Feind, den Feind und Vernei-
ner ihrer beider Freiheit wie zugleich der politischen Freiheit.
 
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