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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0210
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Eifersuchtswahn

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Trotz des Eifersuchtswahns gegen seine Frau verlangte er wieder zu ihr. Auf diesen Wider-
spruch aufmerksam gemacht, meinte er, seine Frau sei geisteskrank und verlangte, daß sie in der
Weise wie er zu Protokoll genommen werde. Sie habe viele Dummheiten gemacht; habe die Kar-
bolsäure, mit der der Stall gegen Schweinerotlauf gestrichen werden sollte, den | Tieren zu sau-
fen gegeben, so daß 13 Schweine daran krepiert seien. Von einer Zigeunerin habe sie ein Pulver
gegen eine Erkrankung der Haustiere gekauft, das aus Mehl und Ruß zusammengesetzt war, und
ähnliches. Sie muß geisteskrank sein. - Der Pat. zeigte keine Gedächtnisschwäche. Die Kennt-
nisse waren beschränkt, aber seinem Stande und den Interessen entsprechend. Er rechnete flie-
ßend und richtig.
Fünf Tage später dissimulierte er dem Arzt gegenüber, er habe eingesehen, daß seine Ideen
nur Krankheit seien; er habe gesehen, daß seine Frau es doch gut mit ihm meine. Anderen gegen-
über hielt er doch an seinen Wahnideen fest; z.B. erzählte er dem Famulus365 in alter Weise von
den Ehebrüchen seiner Frau. Dabei beschrieb er alle Einzelheiten mit großer Lebendigkeit,
Anschaulichkeit und Umständlichkeit. Er sah genau, wie Wille mit seiner Frau schon vor meh-
reren Jahren geschlechtlich verkehrte; er sah, wie er mit seiner Frau in den Hasenstall ging und
wie sie es im Stehen machten; sah ein andermal, daß Hofmann mit seiner Frau auf den Abort
ging. - Von seinen Kindern seien zwei, von welchen er nicht beschwören könne, daß sie von
ihm seien.
In den 14 Tagen, die er noch in der Klinik war, ging er viel im Garten spazieren, äußerte keine
Klagen, sprach nicht spontan mehr von seinen Ideen; manchmal erschien er gesucht eupho-
risch, lachte dem Arzt entgegen und antwortete auf die Frage »wie geht’s?« in etwas gezwunge-
ner Weise: »Wie soll’s gehen? ich bin jetzt ganz gesund.« Fragte man ihn nach Wahnideen aus,
wies er sie weit ab; das sei ja alles Krankheit gewesen, das wisse er ja; es sei zu dumm, so etwas zu
denken. Seitdem er seine Frau hier gesehen habe, sei es ihm klar, daß sie so etwas nicht tun
könne. - Dabei sah er die Ärzte forschend an und suchte in ihren Mienen zu lesen. Er könne jetzt
ja entlassen werden, nun er geprüft sei. Wenn er hinauskäme, gebe er ein Fest; dazu lade er dann
die Herren Doktoren ein. - Trotzdem er auch spontan sich immer für ganz gesund erklärte,
machte er zuweilen Bemerkungen, die auf Dissimulation hinwiesen: »Ich bin an meiner Krank-
heit nicht allein schuld.« Auf die Frage »wer denn noch?«, ging er schnell auf etwas anderes über.
Fragte man ihn, ob er denn nicht bei der Aufnahme krank gewesen sei, so beeilte er sich, das zu
bejahen. Jetzt sei er aber gesund, er sehe alles ein. An Frau und Kinder schrieb er Briefe, in denen
er scheinbar erfreut mitteilte, daß seine Krankheit geheilt sei, und daß man ihn nun abholen
möchte; »der Tag wird ein Andenken uns hinterlassen, da ich jetzt ganz gesund bin und keine
Phantasie mehr im Kopfe habe, auch habe ich die feste Überzeugung, daß keine Unannehm-
lichkeiten in unserer Ehe mehr vorkommen.« Er bat die Frau um Verzeihung, belobigte die
Anstalt. In einem späteren Briefe ähnlich: »Liebe Frau. Ich bitte Dich noch einmal, hole mich
ab und verzage nicht wegen Rückfall, seit dem 9. September hat meine linke Brust nicht mehr
gezittert und bin gewiß überzeugt, daß es keinen Rückfall gibt, auch habe ich keine Lust mehr,
nach Heidelberg zu gehen.« - Er blieb unverändert, war immer natürlich, mitteilsam, stets
freundlich. In letzter Zeit drängte er lebhaft auf Entlassung, die ihm nach einem Aufenthalt von
im ganzen 18 Tagen gewährt wurde.
Einen Monat später schrieb seine Frau: »Daß die Krankheit meines Mannes sich in Heidel-
berg nicht viel gebessert hat und ist derselbe noch so eifersüchtig wie vorher, nur insofern ist es
besser, daß er mich in der Bewachung nicht mehr so viel belästigt; er sagt, er habe diese Phan-
tasie auf Anraten eines Wärters nur so lange aufgegeben, bis er von Heidelberg entlassen war.

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