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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0289
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Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

207 | 2. Bei getrübtem Bewußtsein und Schwinden der realen Wahrnehmungen werden
Pseudohalluzinationen in derselben Weise wie Traumbilder leibhaftig und zugleich
für real gehalten (Wirklichkeitscharakter in unserer Terminologie). Die Untersuchung
dieser Phänomene fällt aber ganz in den Bereich der Untersuchung der Bewußtseins-
trübungen.
Drittens sind zu der vorliegenden Frage von Goldstein überraschende Behauptun-
gen aufgestellt, die mit den unsrigen nicht verträglich sind. Goldstein übernimmt die
Unterscheidung in objektiven und subjektiven Raum, ja er erklärt an einer Stelle das
Erscheinen der Phänomene in dem einen oder anderen Raum für den Unterschied zwi-
schen Wahrnehmung und Vorstellung: »... was die Erinnerungsbilder aber von den
Wahrnehmungen unterscheidet, ist der Umstand, daß ich zwar jede Wahrnehmung
mit jeder anderen, niemals aber ein Erinnerungsbild mit einer Wahrnehmung in das-
selbe Sehfeld zu bringen vermag. Es ist nicht möglich, von den Erinnerungsbildern ein-
fach auf die Wahrnehmungen überzugehen und umgekehrt« (l.c. S. öos)'.535 Man ist
geneigt, bei der Lektüre solcher Stellen anzunehmen, Goldstein sei der Anerkennung
des übergangslosen Unterschiedes zwischen Halluzinationen und Pseudohalluzina-
tionen als des Unterschiedes von pathologischen Wahrnehmungen und pathologi-
schen Vorstellungen hier nahe. Darin irrt man sich. Goldstein kennt überhaupt keine
Trugwahrnehmungen im objektiven Raum. Er schreibt: »Es ist also nicht das Fehlen eines
spezifischen Elementes, sondern es ist das Bewußtsein der räumlichen Inkongruenz,
das die Pseudohalluzinationen des Gesichts auszeichnet, wie alle anderen subjektiven
optischen Wahrnehmungen«“ (l.c. S. 1093).536
Diese These ist auf den ersten Blick sehr eindrucksvolL Trotz mannigfachen Bemü-
hens gelingt es nur relativ selten, optische Trugwahrnehmungen im objektiven Raum
nachzuweisen. Die Mehrzahl der im laxen Sinne sog. optischen Halluzinationen erwei-
sen sich als Pseudohalluzinationen. Trotzdem gibt es solche optische Trugwahrneh-
mungen im objektiven Raum. Es gibt einmal die Illusionen, die an spärliche Eindrücke
anknüpfend Gestalten und Gegenstände leibhaftig vor das Bewußtsein stellen. Es gibt
zweitens echte optische Trugwahrnehmungen zweierlei Art: solche, die zwar im objektiven
Raum sich befinden, aber nicht an bestimmter Stelle lokalisiert sind, vielmehr wie

2 07 »Ich hatte ein Bilderbuch mit Tieren. Diese Tiere wurden mir mit dem Spiegel vorgegaukelt.« - Die
Erklärung durch Dissoziation, die Pfersdorff gibt, glaube ich unter die S. 253 dieser Arbeit cha-
rakterisierten unbeweisbaren Erklärungen stellen zu dürfen. Sie würde teils unter 1., teils unter 2.
fallen.
i Goldstein, der sowohl die sinnliche wie die nichtsinnliche Komponente zwischen Wahrneh-
mung und Vorstellung nur graduell verschieden sein läßt und einen übergangslosen Unterschied
nur im Realitätsurteil findet, scheint sich hier also in einen Widerspruch zu verwickeln: Er sieht
im Tatbestand einen übergangslosen Unterschied, die räumliche Diskontinuität zwischen Wahr-
nehmung und Vorstellung. - Wegen der Doppeldeutigkeit des Begriffs der räumlichen Diskonti-
nuität vgl. S. 292 dieser Arbeit.
ü Über die Mehrdeutigkeit des Begriffs »räumliche Inkongruenz« vgl. S. 292.
 
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