Metadaten

Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0288
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zur Analyse der Trugwahrnehmungen

245

sind. Aber in dieser einen Beziehung sind sie eben ganz getrennt: es besteht die Tatsa-
che, daß man nicht in beiden Raumanschauungen gleichzeitig leben kann. Aus dem
einen Raum in den anderen gibt es keinen Übergang, sondern nur einen Sprung. Es
besteht zwischen dem objektiven und subjektiven Raum keine Kontinuität. Das bei
geschlossenen Augen sichtbare Augenschwarz gehört zum objektiven Raum. Dies
Schwarz steht vor dem äußeren Auge, ist auch gleichzeitig mit äußeren Wahrnehmun-
gen bei fast geschlossenen Lidern zu sehen. Diese Diskontinuität der Raumanschau-
ungen wird auch dadurch ausgedrückt, daß man sagt: die Wahrnehmungen werden
mit dem äußeren Auge, die Vorstellungen mit dem inneren Auge gesehen.
Die Leibhaftigkeit besitzen nur die Wahrnehmungen im objektiven Raum.
Drei Einwände hiergegen sind zurückzuweisen. Man könnte erstens behaupten, daß
die Gegenstände jener inneren pseudohalluzinatorischen Wahrnehmung nicht nur flä-
chenhaft, sondern auch körperlich seien (z.B. auch im Falle Goldsteins S. 593), wäh-
rend Trugwahrnehmungen im objektiven Raum manchmal jeder Körperlichkeit ent-
behren und bloß flächenhafte Empfindungskomplexe darstellen, analog den
Nachbildern. Es sei also in diesen Fällen doch ein Plus an Leibhaftigkeit auf seifen der
sog. pseudohalluzinatorischen Wahrnehmung. Dem ist entgegenzuhalten, daß diese
Körperlichkeit der inneren Bilder eben nicht die leibhaftige Körperlichkeit realer Wahr-
nehmungen, sondern auch wieder eine »bildhafte« Körperlichkeit ist, und daß natür-
lich in dieser inneren Wahrnehmung alle leibhaftige Wahrnehmung nachgebildet
werden kann, daß Kranke in voller Deutlichkeit, aber eben »bildhaft« im subjektiven
Raum nicht bloß Flächen, sondern Dinge, Körper, Verursachung »sehen«. Leibhaftig-
keit und Körperlichkeit sind etwas Verschiedenes1.533 Körperlichkeit kommt nur optischen
Wahrnehmungen zu und bedeutet die räumliche Dreidimensionalität. Leibhaftigkeit
bedeutet eine besondere Eigenschaft aller Wahrnehmungen, flächenhafter so gut wie
körperlicher, akustischer, taktiler so gut wie optischer.
Zweitens wird behauptet, diesen pseudohalluzinatorischen Wahrnehmungen
würde gelegentlich völlige Realität beigemessen, und dann müßten sie doch wohl auch
leibhaftig sein. Das Realitätsurteil wird später behandelt, hier bemerken wir vorweg-
nehmend nur kurz:
1. Bei normalem Bewußtsein und gleichzeitigen leibhaftigen Wahrnehmungen
wird den Pseudohalluzinationen nicht dieselbe Realität wie diesen Wahrnehmungen
zuerkannt, wohl aber eine Realität insofern, daß diese Bilder als hervorgerufen durch
äußere Mächte und auch wohl als adäquate Spiegelungen wirklicher Ereignisse, die
auf diesem übernatürlichen und besonderen Wege geschehen, angesehen werden".534
i Die im etymologischen Sinn der gebrauchten Worte liegenden Mißverständnisse sind oben S. 239
abgewiesen.
ü Derartige Fälle hat z.B. Pfersdorff veröffentlicht. (Der Wahn der körperlichen Beeinflussung,
Monatsschr. f. Psych. u. Neur. 17,157.) Z.B.: »Es werden einem Spiegel vor|gestellt, Gesichter und
allerlei. Ich kann durch die Spiegel von hier aus mein Heimatsdorf sehen, die Dorfstraße.« Oder:

207
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften