Zur Analyse der Trugwahrnehmungen
191
(Leibhaftigkeit und Realitätsurteil)500
Kandinsky501 trennte im Jahre 1885 von den echten Halluzinationen eine Gruppe von
Phänomenen ab, die er nicht für Halluzinationen, sondern für eine pathologische Ab-
art der sinnlichen Erinnerungs- und Phantasievorstellungen erklärte. Er nannte diese
bis dahin nie scharf herausgehobenen pathologischen Vorstellungen »eigentliche
Pseudohalluzinationen«1.502
Diese Pseudohalluzinationen unterscheiden sich sowohl von den normalen Vor-
stellungen wie von den echten Halluzinationen.
Im Gegensatz zu den Vorstellungen haben sie eine unvergleichlich größere sinnliche
Bestimmtheit. Mit einem Male tritt vor das »innere Auge« ein ganzes Bild mit allen
Details in vollendeter Deutlichkeit. Da schaut das innere Auge nie gesehene Landschaf-
ten und Innenräume, Tiere und Menschengestalten, Blumen, Fratzen und vieles
andere. Ganz unabhängig vom Willen kommen und gehen diese Dinge. Das Bewußtsein
befindet sich ihnen gegenüber im Zustand der Rezeptivität und Passivität. Nur durch
Ablenkung der Aufmerksamkeit auf äußere Wahrnehmungen, oder auch bei geschlos-
senen Augen auf das Augenschwarz, kann das Subjekt diese Dinge zum Verschwinden
bringen, bei Hinlenkung der Aufmerksamkeit ins Leere erscheinen sie alsbald von
neuem. Der Raum, in dem sie erscheinen, ist der innere vorgestellte Raum, derselbe,
in dem unsere Erinnerungsbilder auftauchen. Sie entstehen nicht im Augenschwarz,
wie manche subjektive Lichterscheinungen und plastische Bilder, erst recht nicht im
Wahrnehmungsraum. Kandinsky stellt der Kürze wegen den »objektiven Raum« dem
»subjektiven Raum« gegenüber. Zwischen den geschilderten ausgeprägten Pseudohal-
luzinationen und den normalen Vorstellungen besteht eine Reihe von Phänomenen,
die von der einen Seite zur anderen Übergänge bilden.
Dagegen liegt zwischen den Pseudohalluzinationen und echten Halluzinationen ein
übergangsloser Abgrund. Die Pseudohalluzinationen haben immer noch etwas, was ihre
Zugehörigkeit zu den Vorstellungen kenntlich macht. Dagegen haben nur die echten
Halluzinationen dieselbe Leibhaftigkeit,503 diese persönliche Gegenwart, wie sie Wahr-
Der Ausdruck Pseudohalluzinationen war schon vorher von Hagen für alle die Phänomene ge-
braucht, die mit Halluzinationen verwechselt werden können. Es wäre wünschenswert, wenn das
Wort nur im Sinne Kandinskys gebraucht würde. Nur Kandinsky hat dem Begriff eine scharfe
Begrenzung und einen positiven Inhalt gegeben. Die grundlegende Arbeit ist: Kandinsky, Kriti-
sche und klinische Betrachtungen im Gebiete der Sinnestäuschungen. Berlin 1885.
191
(Leibhaftigkeit und Realitätsurteil)500
Kandinsky501 trennte im Jahre 1885 von den echten Halluzinationen eine Gruppe von
Phänomenen ab, die er nicht für Halluzinationen, sondern für eine pathologische Ab-
art der sinnlichen Erinnerungs- und Phantasievorstellungen erklärte. Er nannte diese
bis dahin nie scharf herausgehobenen pathologischen Vorstellungen »eigentliche
Pseudohalluzinationen«1.502
Diese Pseudohalluzinationen unterscheiden sich sowohl von den normalen Vor-
stellungen wie von den echten Halluzinationen.
Im Gegensatz zu den Vorstellungen haben sie eine unvergleichlich größere sinnliche
Bestimmtheit. Mit einem Male tritt vor das »innere Auge« ein ganzes Bild mit allen
Details in vollendeter Deutlichkeit. Da schaut das innere Auge nie gesehene Landschaf-
ten und Innenräume, Tiere und Menschengestalten, Blumen, Fratzen und vieles
andere. Ganz unabhängig vom Willen kommen und gehen diese Dinge. Das Bewußtsein
befindet sich ihnen gegenüber im Zustand der Rezeptivität und Passivität. Nur durch
Ablenkung der Aufmerksamkeit auf äußere Wahrnehmungen, oder auch bei geschlos-
senen Augen auf das Augenschwarz, kann das Subjekt diese Dinge zum Verschwinden
bringen, bei Hinlenkung der Aufmerksamkeit ins Leere erscheinen sie alsbald von
neuem. Der Raum, in dem sie erscheinen, ist der innere vorgestellte Raum, derselbe,
in dem unsere Erinnerungsbilder auftauchen. Sie entstehen nicht im Augenschwarz,
wie manche subjektive Lichterscheinungen und plastische Bilder, erst recht nicht im
Wahrnehmungsraum. Kandinsky stellt der Kürze wegen den »objektiven Raum« dem
»subjektiven Raum« gegenüber. Zwischen den geschilderten ausgeprägten Pseudohal-
luzinationen und den normalen Vorstellungen besteht eine Reihe von Phänomenen,
die von der einen Seite zur anderen Übergänge bilden.
Dagegen liegt zwischen den Pseudohalluzinationen und echten Halluzinationen ein
übergangsloser Abgrund. Die Pseudohalluzinationen haben immer noch etwas, was ihre
Zugehörigkeit zu den Vorstellungen kenntlich macht. Dagegen haben nur die echten
Halluzinationen dieselbe Leibhaftigkeit,503 diese persönliche Gegenwart, wie sie Wahr-
Der Ausdruck Pseudohalluzinationen war schon vorher von Hagen für alle die Phänomene ge-
braucht, die mit Halluzinationen verwechselt werden können. Es wäre wünschenswert, wenn das
Wort nur im Sinne Kandinskys gebraucht würde. Nur Kandinsky hat dem Begriff eine scharfe
Begrenzung und einen positiven Inhalt gegeben. Die grundlegende Arbeit ist: Kandinsky, Kriti-
sche und klinische Betrachtungen im Gebiete der Sinnestäuschungen. Berlin 1885.