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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0034
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Einleitung des Herausgebers

XXXIII

Der in seiner Schrift diagnostizierten, durch das Auftreten des »geschichtlichen Be-
wußtseins« und der damit verbundenen »Erkenntnis von der Relativität jeder geschicht-
lichen Lebensform« ausgelösten Krise des universalen Geltungsanspruchs philosophi-
scher Systeme153 versucht Dilthey beizukommen, indem er die lebensphilosophische
Forderung formuliert, die Philosophie solle nicht mehr »in der Welt«, sondern in dem
Verständnis des »vom Menschen gelebten Leben [s]« den »inneren Zusammenhang ih-
rer Erkenntnisse« suchen.154 Die Einsicht, dass Weltanschauungen »Erzeugnisse der
Geschichte«155 und ihre Gültigkeit relativ zur Geschichte stehen und fallen, ist für
Dilthey unumgänglich, weshalb er in einer vergleichenden, allerdings auf metaphysi-
sche Systeme enggeführten historischen Analyse allgemeine Strukturen weltanschauli-
cher Gestalten auszuweisen versucht. Für Dilthey gründen diese darin, dass »auf der
Grundlage eines Weltbildes die Fragen nach Bedeutung und Sinn der Welt entschieden
und hieraus Ideale, höchstes Gut und oberste Grundsätze für die Lebensführung abge-
leitet werden«.156 Das Weltbild wird so zur »Grundlage der Lebenswürdigung und des
Weltverständnisses«.157 Die Weltanschauungen, deren historische Gültigkeit für ihn
von der Förderung des Lebensverständnisses und der erfolgreichen Vermittlung
»brauchbarer Lebensziele« abhängt, sind für Dilthey keine Produkte des Denkens. Sie
gehen, wie für Jaspers, vielmehr »[a]us dem Lebensverhalten, aus der Lebenserfahrung,
der Struktur unserer psychischen Totalität« hervor.158 Ihre Ausbildung »ist bestimmt
von dem Willen zur Festigkeit des Weltbildes, der Lebenswürdigung, der Lebens-
leitung«,159 der schließlich auch den Drang hervorbringt, die Weltanschauungen als
vermeintlich allgemeingültiges Wissen zu verabsolutieren.160 Mit Blick auf die meta-
physischen Systeme unterscheidet Dilthey dabei zwischen drei Typen: dem »Natura-
lismus«, dem »Idealismus der Freiheit« und dem »objektiven Idealismus«.161
Neben diesen grundlegenden heuristischen und typologischen Ideengebern ist ver-
schiedentlich auf den Einfluss Georg Simmels162 auf Jaspers hingewiesen worden, insbe-

153 W. Dilthey: »Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Syste-
men«, 77.
154 Ebd., 78.
155 Ebd., 84.
156 Ebd., 82.
157 Ebd., 83.
158 Ebd., 86.
159 Ebd.
160 Vgl. ebd., 94.
161 Vgl. ebd., 100-118.
162 Jaspers kannte Simmel aus mehreren Gesprächen in Heidelberg 1917 persönlich und befand ge-
genüber seinen Eltern: »Er ist von den lebenden Philosophen wohl der klügste, jedenfalls der wir-
kungsvollste« (K. Jaspers an die Eltern, 10. Juni 1917). Simmel verstarb am 26. September 1918, so-
dass keine Fortführung der Gespräche mehr stattfand. Seine Schriften nahm Jaspers allerdings nur
sehr selektiv wahr, wie seine nur mit wenigen Anstreichungen versehenen Handexemplare zeigen.
 
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