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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0037
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XXXVI

Einleitung des Herausgebers

ihre Überzeugungskraft in sich selbst. Die Anerkennung dieser Evidenz ist Vorausset-
zung der verstehenden Psychologie.«179
Allerdings beruht für Jaspers das Urteil über die Wirklichkeit eines verständlichen
Zusammenhangs im Einzelfall nicht allein auf dessen Evidenz, »sondern vor allem auf
dem objektiven Material greifbarer Anhaltspunkte. [...] Alles Verstehen einzelner wirkli-
cher Vorgänge«, so Jaspers, »bleibt daher mehr oder weniger ein Deuten, das nur in sel-
tenen Fällen relativ hohe Grade der Vollständigkeit erreichen« könne. Genetisch ver-
ständliche Zusammenhänge sind für Jaspers idealtypische Zusammenhänge, sind »in
sich evident (nicht induktiv gewonnen), führen nicht zu Theorien, sondern sind ein
Maßstab, an dem einzelne wirkliche Vorgänge gemessen und als mehr oder weniger ver-
ständlich erkannt werden.«180
Damit schließt Jaspers eng an die von Weber etablierte Begriffsstrategie der Ideal-
typenbildung an. Denn der Idealtypus hat bei Weber den Status eines »idealen Grenz-
begriffes«, »an welchem die Wirklichkeit zur Verdeutlichung bestimmter bedeutsamer
Bestandteile ihres empirischen Gehaltes gemessen, mit dem sie verglichen wird.«181
Mit Blick auf die Weltanschauungspsychologie beschränkt sich Jaspers dezidiert
auf das »statische Verstehen«, das er in einer - wie er es nennt - »universalen Betrach-
tung« zur Anwendung bringt. Die Wahl seiner Quellen deutet sich schon in dem Auf-
satz »Kausale und >verständliche< Zusammenhänge« an. Dort schreibt er mit Blick auf
die »bisherigen Leistungen verstehender Psychologie«: »Was nicht an [...] einzelnen
Analysen, sondern an Aufdeckung von generellen verständlichen Zusammenhängen
geleistet ist, das ist niemals in planmäßiger, systematischer Weise geschehen, sondern
in Form von Essays, Reflexionen, Aphorismen. [...] Verständliche Zusammenhänge
sind überzeugend immer nur durch die Intuition seltener Menschen entdeckt worden.
Von ihnen her fließt direkt oder indirekt durch Vermittlung von sekundären Quellen
das meiste unserer bewußten Kenntnis verständlichen menschlichen Seelenlebens.«182
Hiermit ist der Grundstein für Jaspers’ Weltanschauungspsychologie gelegt. Sie
widmet sich nicht mehr den Möglichkeiten und Grenzen des Verstehens kranken See-

179 Ebd., 199; vgl. auch: K. Jaspers: »Kausale und >verständliche< Zusammenhänge«, 330; auch hierin
besteht eine Analogie zur Verstehenden Soziologie Webers. Dieser hatte betont: »Die objektive
Gültigkeit alles Erfahrungswissens beruht darauf und nur darauf, daß die gegebene Wirklichkeit
nach Kategorien geordnet wird, welche in einem spezifischen Sinn subjektiv, nämlich die Voraus-
setzung unserer Erkenntnis darstellend, und an die Voraussetzung des Wertes derjenigen Wahr-
heit gebunden sind, die das Erfahrungswissen allein uns zu geben vermag« (»Die >Objektivität<
sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis«, 213).
180 K. Jaspers: Allgemeine Psychopathologie, 3. Aufl., 200.
181 M. Weber: »Die >Objektivität< sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis«, 194.
Weber weist außerdem darauf hin, dass idealtypische Begriffe Gebilde seien, »in welchen wir Zu-
sammenhänge unter Verwendung der Kategorie der objektiven Möglichkeit konstruieren, die un-
sere, an der Wirklichkeit orientierte und geschulte Phantasie als adäquat beurteilt« (ebd.).
182 Vgl. K. Jaspers: »Kausale und >verständliche< Zusammenhänge«, 336.
 
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