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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0052
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Einleitung des Herausgebers

LI

Weltanschauungsfrage als Symptom einer zutiefst verunsicherten Zeit, die eine nie ge-
kannte individuelle Orientierungslosigkeit freisetzte, bildete den zeit- und geistesge-
schichtlichen Anstoß; Max Webers »Verstehende Soziologie« und Diltheys philoso-
phische Typologie von Weltanschauungen das Vorbild des auf Idealtypenbildung
abgestellten Untersuchungsansatzes; Kant bot mit dem Ideenbegriff die epistemolo-
gische Grundlage für die Gegenstandsbestimmung, Kierkegaard und Nietzsche den
Zugang der »verstehenden«, das Individuum in seiner Selbst- und Weltbezüglichkeit
reflektierenden Psychologie. Erschöpft sich die biographisch rekonstruierbare Moti-
vation für das Verfassen des Werkes weitgehend darin, sich angesichts der Unmöglich-
keit einer Karriere als praktizierender Arzt für eine akademische Laufbahn empfehlen
zu wollen, erweist sich die verbleibende Analyse des denkerischen Weges »von der Psy-
chologie über die verstehende Psychologie zur Existenzphilosophie«255 als weitaus
schwieriger. Wichtige motivatorische und inhaltliche Aufschlüsse über Jaspers’ frühe
Distanzierung von seinem Buch lassen sich indes aus der Rekonstruktion seines Um-
gangs mit der Kritik an seiner Schrift gewinnen.
15. Rezeption
Jaspers verfolgte die Reaktionen auf seine Psychologie der Weltanschauungen mit großer
Aufmerksamkeit.256 Besonders die Kritiken der Philosophen erwartete er mit Spannung,
insofern - wie er schreibt - »die Idee des Buchs vielen gegenwärtigen Philosophie-
professoren an ihre geistige Existenz geht. Sie müssen sich verteidigen«.257 Ob damit die
Frage der »prophetischen Philosophie«, der Relativismus,258 der lebensphilosophische
Impetus, das »geheime Ideal«259 einer um die Achse der Existenz kreisenden Selbstreflexion
oder die Wiederbelebung der philosophischen Psychologie gemeint ist, bleibt offen.

255 K. Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen (Vorwort zur 4. Auflage 1954), 9.
256 Vgl. den Briefwechsel mit der Familie, insbes. K. Jaspers an die Eltern, 30. März 1920; K. Jaspers
an die Eltern, 21. Juni 1920; H. Jaspers an K. Jaspers, 28. Juni 1920.
257 Am 30. März 1920 schreibt Jaspers an seine Eltern: »Über mein letztes Buch werden sehr scharfe
Kritiken erscheinen. Die Philosophen scheinen es vielfach sehr abzulehnen, aber unter Geber-
den [sic], die mir schmeichelhaft sind. Denn sie halten es nicht für nichtig, sondern für /verhäng-
nisvoll« Rickert hat einen besonderen Aufsatz darüber im Logos geschrieben, den ich Euch schi-
cke, wenn er gedruckt sein wird. In der Tatsache eines solchen Aufsatzes liegt eigentlich ein
grosses Lob. Aber man sagt: nein. Ich verstehe das, insofern die Idee des Buchs vielen gegenwär-
tigen Philosophieprofessoren an ihre geistige Existenz geht. Sie müssen sich verteidigen. Dabei
werden sie auch manche schwache Stelle entdecken, denn mein Buch ist natürlich als Ganzes un-
fertig. Hoffentlich erlebe ich dann noch eine zweite Auflage, um die Schwächen zu verbessern«.
258 Jaspers schätzte sich selbst in seinem Umfeld als »relativistisch« ein. Nur gegenüber Georg Simmel
kam er sich im Gespräch, wie er dem Vater gesteht, »ganz fanatisch« vor (vgl. K. Jaspers an C. Jaspers
sen., 10. Juni 1917).
259 Vgl. hierzu: Einleitung zu diesem Band, LXVI; Stellenkommentar Nr. 2.
 
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