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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0077
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LXXVI

Einleitung des Herausgebers

Als werkgeschichtlich wirksam zeigen sich zudem Jaspers’ Überlegungen, wie sich eine
»vollständige Psychologie der Weltanschauungen« denken ließe.391 Der erste Teil, der
»die allgemeinen Grundlagen, die Stellungen und Kräfte, die Grenzen überhaupt« zu
behandeln hat, bildet den Gegenstandsbereich seines Buches. Der zweite Teil würde
hingegen, so Jaspers, die »allgemeinen, weltanschaulichen Gestalten verfolgen, wie
sie sich in den einzelnen Sphären der Persönlichkeit, der Werke, der Gesellschaft ma-
nifestieren. Die Werksphären (z.B. Wissenschaft, Metaphysik, Kunst, Religion usw.),
die Persönlichkeitssphäre (z.B. das Ethische, der Lebensstil, die Geschlechtsliebe usw.),
die Sozialsphäre (z.B. das Politische) lassen jede für sich die letzten Möglichkeiten der
weltanschaulichen Kräfte wieder sichtbar werden«.392 Interessant ist diese Aussage,
weil sie die lebensweltlichen Sphären benennt, die Jaspers in seinem 1931 erschiene-
nen Buch Die geistige Situation der Zeit mit Blick auf die Selbstbehauptung des indivi-
duellen Selbstseins analysiert, auch wenn diese nicht als Manifestationssphären welt-
anschaulicher Gestalten behandelt werden. Ebenso lassen sich zu dem angedachten
dritten möglichen Teil einer Psychologie der Weltanschauungen werkgeschichtliche
Analogien erkennen. So schreibt Jaspers: »Am konkretesten, der Wirklichkeit am
nächsten, aber auch am endlosesten in die Mannigfaltigkeit der empirischen Welt sich
ausbreitend, wird die Darstellung, wenn sie die Weltanschauungen [...] in ihren cha-
rakterologischen und soziologischen Gestalten verfolgt in dem Material der einzelnen
Persönlichkeit, der Völker, Zeitalter und Zustände.«393 Vor diesem Hintergrund lassen
sich sowohl die Impulse zum geschichtsphilosophischen Werk Vom Ursprung und Ziel
der Geschichte als auch für das Projekt einer »Weltgeschichte der Philosophie« bis zur
Psychologie der Weltanschauungen zurückverfolgen. Die Auseinandersetzung mit dem
»Material der Völker, Zeitalter und Zustände« wird allerdings nach den Erschütterun-
gen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr unter dem Gesichtspunkt einer weltanschau-
lichen Typologie geführt, sondern beschwört die Einheit des Menschseins mit Blick
auf eine »Achsenzeit«,394 in der nach Jaspers zwischen 800 und 200 v.Chr. in China,
Indien und dem Abendland »der Mensch entstand, mit dem wir heute leben«.395 Die
Achsenzeitthese gibt dabei implizit die Aufgabe einer historisch-humanistischen Welt-
anschauung frei, wie die verhalten geäußerte Hoffnung auf eine »zweite Achsenzeit«396
offenbart.
Auch im Projekt einer »Weltgeschichte der Philosophie«, nur rudimentär verwirklicht
im ersten Band der Großen Philosophen, zeigen sich noch Nachklänge einer Typologie

391 Ders.: Psychologie der Weltanschauungen, 59.
392 Ebd.
393 Ebd.
394 Vgl. ders.: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, KJG I/io.
395 Ebd., 17-18.
396 Ebd., 36, 92; vgl. hierzu auch den Stellenkommentar Nr. 26 in KJG I/io.
 
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