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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0159
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Psychologie der Weltanschauungen

52 | A. Gegenständliche Einstellungen.
Diese sind aktiv, auf das Gestalten der zeitlichen Wirklichkeit bedacht, oder kontem-
plativ, auf das Erfassen der letzthin zeitlosen Gegenständlichkeiten gerichtet').50
1. Die aktive Einstellung.
Der wollende Mensch erfährt die Welt als einen Widerstand, und er erfährt, daß sie teil-
weise von ihm abhängig ist. Erst durch den Widerstand ist ihm die Außenwelt als Reali-
tät da. Dieser Widerstand ist kein absoluter. Nur soweit die Welt irgendwie vom Menschen
auch abhängig ist, ist sie Gegenstand der aktiven Einstellung, nicht als völlig unabhän-
gige. Das Weltbild der aktiven Einstellung wird in die eigenen Wirkungen und gleich-
sam in die eigene Wesenssphäre des Handelnden aufgenommen, während das Welt-
bild der kontemplativen Einstellung bloß gegenüber, unabhängig, unbeherrschbar,
nur sehbar, nur betrachtbar, fremd ist. Die Welt erkennen, das heißt für den Kontem-
plativen, sie vor sich hinstellen, für den Aktiven, sie schaffen und machen, sie in ei-
gene Tätigkeit verwandeln. Die Welt soll in der aktiven Einstellung so umgestaltet wer-
den, daß der Aktive sie als seine Welt begreift. Von der aktiven Einstellung aus gilt auch
für alles Erkennen, daß wir die Dinge nur insoweit erkennen, als wir sie machen kön-
nen.51 In der aktiven Einstellung ist ein fortdauernder Dualismus. Der Wille findet Wi-
derstand und Gegenwillen; es handelt sich um Kraft und Kampf.
Der aktive Mensch steht ganz in der zeitlich gegenwärtigen Situation.52 Er handelt in
Erfüllung der gegebenen, nicht einer erdachten oder phantastischen zeitlosen Situa-
tion, nicht in einer anderen fremden, sondern der konkret gegenwärtigen Welt. Er tut,
was ihm objektiv möglich scheint, und was er subjektiv kann. Er gibt sich nicht ab mit
Idealen und Welten, die der Situation fremd sind, oder Aufgaben, die die Situation
nicht stellt. Er steht in vollem Gegensatz sowohl zu dem, der aus seiner fremden Welt
her bedingungslos ein Ideal verwirklichen will (und dabei notwendig resultatlos, un-
gestaltet zerschellt), wie zu dem, der resigniert die Hände in den Schoß legt und nur
53 noch kontemplativ ist, weil ihm die Wirklich |keit der gegebenen Situation und das
Ideal unvereinbare, beziehungslose Dinge sind.
Im einzelnen sind die Kategorien der aktiven Einstellung folgende:
1. Für die aktive Einstellung ist der Verstand und alle Kontemplation Mittel; sie sind
Werkzeuge, die von dem Zwecke der Aktivität bewegt und entwickelt werden, ohne ih-
nen Selbständigkeit zuzubilligen. Vom Aktiven gilt die Schilderung:
»Er ehrt die Wissenschaft, sofern sie nutzt,

Diese Gegenüberstellung ist alt: Aristoteles unterscheidet das mneiv, Trpcmeiv, üecopeiv. Dann
wurde die Gegenüberstellung des ßioq npaKTiKÖq und tiswpriTiKÖq üblich (vita activa und vita con-
templativa). In der christlichen Welt lebte der Gegensatz als der Gegensatz von Maria und Martha
fort. Bacon unterschied wieder praktische und kontemplative Naturen.
 
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