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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0253
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i6o

Psychologie der Weltanschauungen

Diese Welt sehen heißt sie erleben, sie denken, heißt nicht naturmechanisch oder na-
turgeschichtlich denken, sondern systematisch betrachten, wie die Analogien, Sym-
pathien usw. phänomenologisch da sind. Eine psychologische Theorie kann vom Ein-
fühlen von Seelischem und Geistigem in die Naturwelt sprechen. Objektiv,
phänomenologisch formuliert, findet der Mensch in dieser Welt unendliche Bezie-
hungen und Analogien vor, wie sie uns durch die ganze Geschichte, beginnend mit
den babylonischen Lehren von der Beziehung zwischen Sternenlauf und Menschen-
schicksal bekannt sind: Alles steht zu allem in der Natur in inneren Verwandtschaf-
ten: Menschen, Sterne, Tiere, Pflanzen, Organe, Mineralien, Metalle. Daß fast überall
in Schriften, die deutend dieses Weltbild betrachten, ein Durcheinander der realen Be-
ziehungen im Sinne der früheren Weltbilder, der rein begrifflichen Beziehungen und
dieser inneren Beziehungen der Verwandtschaft, Analogie, Sympathie, Symbolik statt-
findet, daß alle diese Beziehungen immer wieder in einen undifferenzierten allgemei-
nen Realitätsbegriff zusammenfließen, daß sie genau so wie naturmechanische Ein-
sichten zum Voraussagen, Prophezeien, zur Erlangung »magischer« Wirkungen
benutzt wurden und werden, darf uns nicht hindern, aus diesem Durcheinander nach
Abzug des echt Naturmechanischen und Naturgeschichtlichen eine eigene Welt her-
auszusehen. Zwischen diesen Welten bestehen Sprünge. Wenn die Theosophie immer
162 wieder diese naturmythische Welt in der Form der Naturwissenschaft er|örtert, so ist
diese dumpfe Stickluft ihrer Materialisierungen nur eine Folge willkürlichen, unerleb-
ten, bloß erdachten und formalen Ineinssetzens heterogener Sphären. Das Existieren
in dieser Stickluft steht im Gegensatz zur freien, erhebenden Anschauung ohne Hem-
mung und Beengung, ohne falsche Folgerungen und ohne Verwechslung der Reali-
tätsbegriffe in dieser reichen und leichten, bedeutungsvollen und schaurigen Welt der
naturmythischen Sphäre. Die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit wird geistig und seelisch
aufgefaßt. Ein Gefühl der Verwandtschaft, der Geborgenheit in der Natur, des Vertrau-
ens zu ihr wird lebendig. Es sind im Innersten verwandte und vertraute Kräfte, die in
den Naturerscheinungen gesehen werden. Ebenso aber ist die Natur auch chaotisch,
böse; diese Welt ist eine Welt des Grauens. Das Naturmythische ist zugleich ein leben-
diges Ganzes und zugleich durchwirkt vom Dämonischen, Einheit und zugleich Zer-
störung. Im undifferenzierten Naturweltbild war diese Sphäre gerade die Last und die
Angst der Menschen, nach geschehener Klärung bleibt sie, aber hat den Realitätscha-
rakter, der der naturmechanischen und naturgeschichtlichen Welt angehört, nicht
mehr an sich, dafür eine andere Realität, die sofort in philosophische Weltbilder über-
leitet.
Die gedachten Formeln und Sätze, die diese Welt ausdrücken, ordnen und syste-
matisieren wollten, führen in infinitum, sind spitzfindig, allzuoft bloß formal; aber
auch in ihnen gibt es Regelmäßigkeiten. Jedenfalls wird man sie als »psychologische«
Regelmäßigkeiten anerkennen. Ob es hier auch eine gegenständliche Sphäre gibt, die
als rein gegenständlich ganz ohne Psychologie immanenter Erforschung zugänglich
 
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