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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0486
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Psychologie der Weltanschauungen

393

Zum Verstecken dient das Dialektische. Kierkegaard spricht davon, wie ein Jüngling sich »mit
dämonischer Virtuosität der Reflexion« verschleiert1).593 Aber: »Was den Menschen dämonisch
macht, ist nicht das Dialektische, gewiß nicht; aber das, daß er in dem Dialektischen bleibt«“).594
Diese Zwischengestalten können bei aller Verschlossenheit zugleich das Schweigen nicht aus-
halten^.595 »Die Offenbarung kann sich in Worten aussprechen; dann endet der Unglückliche
damit, daß er jedem sein Geheimnis aufdrängt. Sie kann sich in Mienen, einem Blick verkün-
den; denn es gibt Blicke, in denen der Mensch unfreiwillig das Verborgene offenbart«'').596
Der schwache dämonische Wille ängstigt sich wegen der Dunkelheit, die ihn bei seiner
Schwäche erst bestehen läßt, da er bei Durchsichtigkeit zugrunde gehen würde, vor jeder Be-
rührung, die ihm diese Gefahr bringt. »Wie der Trinker beständig, Tag für Tag, den Rausch un-
terhält, aus Furcht vor der Unterbrechung ... so der Dämonische ... Gegenüber einem, der ihm
im Guten überlegen ist, kann der Dämonische... für sich bitten, er kann mit Tränen für sich bit-
ten, daß er nicht zu ihm rede, daß er ihn nicht, wie er sich ausdrückt, schwach mache. Gerade
weil der Dämonische in sich konsequent ist... hat er auch eine Totalität zu verlieren«").597
Das Konkrete des Selbst kann der Mensch nach Kierkegaard in Freiheit übernehmen und
durchdringen oder in Unfreiheit trotzig behaupten. Der Gegensatz tritt »entsetzlich« auf, wenn
dieses Konkrete ein Schreckliches ist, das der Mensch nicht einzugestehen wagt:
»Was der Verschlossene in seiner Verschlossenheit verbirgt, kann so schrecklich sein, daß er
es nicht auszusagen wagt, auch vor sich selbst nicht; denn es ist, als beginge er mit dem Ausspre-
chen eine neue Sünde ... Am ehesten kommt es zu dieser Verschlossenheit, wenn das Indivi-
duum seiner selbst nicht mächtig war, während es das Schreckliche beging. So kann ein Mensch
im Rausch etwas getan haben, dessen er sich nachher nur dunkel erinnert... Dasselbe kann mit
einem Menschen der Fall sein, der einmal geistesgestört war und eine Erinnerung seines vori-
gen Zustandes behalten hat. Was nun entscheidet, ob das Phänomen dämonisch ist, das ist die
Stellung des Individuums zur Offenbarung: ob es jenes Faktum durch die Freiheit durchdrin-
gen, es in Freiheit übernehmen will. Sobald es dies nicht will, ist das Phänomen dämonisch«'1),598
Die menschliche Existenz, die unfrei ist, nimmt in Dunkelheit über ihr Selbst ihre Gaben nur
als Kräfte zum Wirken und ihr Selbst als ein unerklärliches Etwas, während die freie ihr Selbst
nach innen zu verstehen drängt™).599
| Das eigentliche Kennzeichen des Dämonischen, der sich auf sein zufälliges Selbst als das 432
Absolute zurückgezogen hat, ist, daß ihm nichts mehr ernst istviii).600 Kierkegaard knüpft an
Macbeths Worte (nach der Ermordung des Königs) an: »Von jetzt gibt es nichts Ernstes mehr im
Leben.«601 Daß der Mensch in einem Allgemeinen, Ganzen, Ewigen existiert, ist Voraussetzung
des »Ernstes«. »Der Ernst in diesem Sinne bedeutet die Persönlichkeit selbst, und nur eine ernst-
hafte Persönlichkeit ist eine wirkliche Persönlichkeit.«602 »Es gibt darum keinen sicheren Maß-
stab dafür, wozu ein Individuum in seinem tiefsten Grunde taugt, als wenn man erfährt: was

i IV, IO4.
ü IV, 403.
üi V, 124.
iv V, 128.
v VIII, 105.
vi V, 128.
v» VIII, 43.
viii V, 145-153-
 
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