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Psychologie der Weltanschauungen
Chaos, ach Chaos!
456 | Die Menschen der Welt sind hell, so hell:
Ich allein bin wie trübe!
Die Menschen der Welt sind so wißbegierig:
Ich allein bin traurig, so traurig!
Unruhig, ach, als das Meer!
Umhergetrieben, ach, als einer der nirgends weilt!
Die Menschen der Menge haben alle etwas zu tun:
Ich allein bin müßig, wie ein Taugenichts!
Ich allein bin anders als die Menschen:
Denn ich halte wert die spendende Mutter.«618
Um die Übereinstimmung im Nichthandeln in den sich zeitlich und kulturell fern-
sten Lehren zu zeigen, sei noch eine Stelle aus der »Deutschen Theologie« zitiert1):619
»Zu der Wiederbringung und Besserung kann ich und mag und soll nichts dazu
tun, sondern es soll ein bloß lauteres Leiden sein, so daß Gott allein alle Dinge in mir
tue und wirke und ich alle seine Werke und seinen göttlichen Willen erleide. Aber so
ich das nicht leiden will, sondern ich mich besitze mit Eigenschaft als mein und ich,
mir und mich und dergleichen, das hindert Gott..., daraus folgt, daß sich der Mensch
nichts annimmt, weder Wesens, Lebens, Wissens, noch Vermögens, Tuns und Lassens,
noch alles dessen, das man gut nennen mag. Und also wird der Mensch durchaus arm
und wird auch ihm selbst zunichte und in ihm und mit ihm alles Seiende, d.h. alle ge-
schaffenen Dinge.«
Als ein Beispiel für die irrationale Lebensführung des Mystikers seien ein paar Züge
aus dem Leben Gottfried Arnolds berichtet, dessen Autobiographie charakteristi-
sche Wendungen enthält. Geboren 1666, wurde er 1697 Professor der Geschichte an
der Universität Gießen. Jedoch nahm er schon 1698 seinen Abschied. Wie er zur Wis-
senschaft kam und sie verließ, beschreibt er:
»Inmittelst hat der Feind, der mir mein Heil nicht gönnet, auf 1000 Orten mich daran zu hin-
dern gesucht. Zuvorderst zog mich meine Lust und Fähigkeit annoch sehr auf vieles Wissen,
sonderlich auf die Philologie und darinnen auf die Antiquitet, Historiam civilem et criticam.620
Hierin nun litt der Geist unter großer Mühseligkeit sehr viel Gefahr und Schaden. Es zog mich
auch die Liebe Gottes durch stetige Gegensätze und Zeugnis gewaltig davon ab, und auf das Eine
Notwendige, so gar, daß ich endlich nicht nur alles unnütze Studieren zu unterlassen, sondern
auch alle meine Bücher bis auf wenige abzuschaffen, durch die äußerste Beängstigung meines
Herzens und Überzeugung der großen Eitelkeit gedrungen wurde. Jedoch weil meine natürli-
chen Begierden zu vieler Zerstreuung, und so fort zu Lob der Leute so groß war, und ich dahero
immer wieder in die scheinbare Lust der Gelehrsamkeit einginge, als ließ es Gott aus heiligen
Ursachen endlich zu, daß ich mich bis zum höchsten Ekel und Überdruß mit solchen Dingen,
wie dorten die Israeliten mit dem Fleisch füllen möchte.
Nach dem Werk: Religion in Geschichte und Gegenwart.
Psychologie der Weltanschauungen
Chaos, ach Chaos!
456 | Die Menschen der Welt sind hell, so hell:
Ich allein bin wie trübe!
Die Menschen der Welt sind so wißbegierig:
Ich allein bin traurig, so traurig!
Unruhig, ach, als das Meer!
Umhergetrieben, ach, als einer der nirgends weilt!
Die Menschen der Menge haben alle etwas zu tun:
Ich allein bin müßig, wie ein Taugenichts!
Ich allein bin anders als die Menschen:
Denn ich halte wert die spendende Mutter.«618
Um die Übereinstimmung im Nichthandeln in den sich zeitlich und kulturell fern-
sten Lehren zu zeigen, sei noch eine Stelle aus der »Deutschen Theologie« zitiert1):619
»Zu der Wiederbringung und Besserung kann ich und mag und soll nichts dazu
tun, sondern es soll ein bloß lauteres Leiden sein, so daß Gott allein alle Dinge in mir
tue und wirke und ich alle seine Werke und seinen göttlichen Willen erleide. Aber so
ich das nicht leiden will, sondern ich mich besitze mit Eigenschaft als mein und ich,
mir und mich und dergleichen, das hindert Gott..., daraus folgt, daß sich der Mensch
nichts annimmt, weder Wesens, Lebens, Wissens, noch Vermögens, Tuns und Lassens,
noch alles dessen, das man gut nennen mag. Und also wird der Mensch durchaus arm
und wird auch ihm selbst zunichte und in ihm und mit ihm alles Seiende, d.h. alle ge-
schaffenen Dinge.«
Als ein Beispiel für die irrationale Lebensführung des Mystikers seien ein paar Züge
aus dem Leben Gottfried Arnolds berichtet, dessen Autobiographie charakteristi-
sche Wendungen enthält. Geboren 1666, wurde er 1697 Professor der Geschichte an
der Universität Gießen. Jedoch nahm er schon 1698 seinen Abschied. Wie er zur Wis-
senschaft kam und sie verließ, beschreibt er:
»Inmittelst hat der Feind, der mir mein Heil nicht gönnet, auf 1000 Orten mich daran zu hin-
dern gesucht. Zuvorderst zog mich meine Lust und Fähigkeit annoch sehr auf vieles Wissen,
sonderlich auf die Philologie und darinnen auf die Antiquitet, Historiam civilem et criticam.620
Hierin nun litt der Geist unter großer Mühseligkeit sehr viel Gefahr und Schaden. Es zog mich
auch die Liebe Gottes durch stetige Gegensätze und Zeugnis gewaltig davon ab, und auf das Eine
Notwendige, so gar, daß ich endlich nicht nur alles unnütze Studieren zu unterlassen, sondern
auch alle meine Bücher bis auf wenige abzuschaffen, durch die äußerste Beängstigung meines
Herzens und Überzeugung der großen Eitelkeit gedrungen wurde. Jedoch weil meine natürli-
chen Begierden zu vieler Zerstreuung, und so fort zu Lob der Leute so groß war, und ich dahero
immer wieder in die scheinbare Lust der Gelehrsamkeit einginge, als ließ es Gott aus heiligen
Ursachen endlich zu, daß ich mich bis zum höchsten Ekel und Überdruß mit solchen Dingen,
wie dorten die Israeliten mit dem Fleisch füllen möchte.
Nach dem Werk: Religion in Geschichte und Gegenwart.