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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0517
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424 Kants Ideenlehre
Ideen gab, beachtet: Wir erkennen in den Ideen nicht Gegenstände, aber die Ideen sind
uns ein Licht, das die Wege der Forschung im Reich des bloßen Verstandes zeigt und
diesem Systematik gibt. Sie sind nicht konstitutiv für die Gegenstände, sondern regu-
lativ für den Verstand. Die Ideen sind, so lautet das bekannte Schlagwort, nicht gege-
ben, sondern aufgegeben. Was nun die Ideen positiv eigentlich seien, oder was das Ver-
mögen der Vernunft neben dem des Verstandes und der Sinnlichkeit nach Kant
bedeute, soll nun genauer vergegenwärtigt werden.
In der Verschiedenartigkeit der anschaulichen Erfahrungen, die Verstand und
Sinnlichkeit machen, besteht nur eine Gleichartigkeit: alle stehen unter den Katego-
rien der Gegenständlichkeit überhaupt, der Kausalität usw.; es besteht nur ein Zusam-
menhang: in der synthetischen Einheit des sinnlichen Materials in der kategorial ge-
formten Einzelerfahrung. Besitzen wir nun, wenn wir eine Fülle solcher Erfahrungen
hätten, Wissenschaft? Nein, sagt Kant, das wäre ein bloßes Konglomerat, ein Chaos.
Immer von neuem wird uns eingeschärft, das Merkmal der Wissenschaft bestehe im
Systematischen. Wodurch gewinnen wir das Systematische? Wir könnten etwa die Ein-
zelerfahrungen katalogisieren nach Anfangsbuchstaben, oder andere technische Mit-
tel anwenden; wir könnten Systematik für eine bloß ökonomische, zweckmäßige,
brauchbare Einrichtung im praktischen Betrieb der Wissenschaft halten. Aber das al-
les wäre nach Kant keine Wissenschaft. Das Systematische, das eigentlich wissen-
161 schaftlich ist, wird erst ermöglicht durch Ideen; denn diese sind nicht bloß techni | sehe
Kunstgriffe, sondern haben objektive Bedeutung in den Gegenständen selbst. Das
Ganze der Wissenschaft, dem in den Ideen zugestrebt wird, hat selbst seine Direktive
durch das Ganze der Gegenstände. Das Systematische ist nicht bloß durch Bedürfnisse
in der Sphäre der abbildlichen Wahrheit bedingt, sondern durch die urbildliche Wahr-
heit selbst. Zwar ist das Ganze in keinem Felde je erreichbar, aber wir nähern uns ihm
ewig an. Zwar ist nur die Einzelerkenntnis bestimmt, die Idee unbestimmt; die Idee ist
problematisch, aber alles Bestimmte wird für uns nur wissenschaftlich sinnvoll durch
Einreihung in den systematischen Gang, dessen Ziel unbestimmt bleibt. Und wird das
Feld des Bestimmten größer und größer, als erreichtes Ganzes ist es sinnvoll und syste-
matisch erweiterbar nur im ideenhaften, wenn auch unbestimmten Ganzen. Wir su-
chen immerfort nach systematischer Einheit. Dieses Suchen ist ein Gesetz der Ver-
nunft und notwendig, »weil wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese aber
keinen zusammenhängenden Verstandesgebrauch und in dessen Ermangelung kein
zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit haben würden«').626 So sind also die
Ideen nicht bloß nachträgliche Ordner, sondern bei der Entstehung der Erkenntnis in
den Sphären von Verstand und Sinnlichkeit schon mitwirkend. Die Ideen, die selb-
ständig, losgelöst behandelt, nur windige Erkenntnisse liefern, sind doch im Medium
des Verstandes, was Erkenntnis anlangt, dessen eigentliche Substanz.

Kritik der reinen Vernunft, B. 679.
 
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