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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0564
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Stellenkommentar

471

sitätsklinik 1887 verlassen und ließ sich als Nervenarzt nieder. Auf der Grundlage seines 1881-
1883 in drei Bänden erschienenen Lehrbuchs für Gehirnkrankheiten erhielt Wernicke 1885 ein
Extraordinariat in Breslau und wurde mit der Leitung der städtischen psychiatrischen Klinik
betraut; 1890 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Zunächst hauptsächlich mit der
Untersuchung von Hirnverletzungen und damit einhergehenden Beeinträchtigungen des
Sprachverständnisses (Aphasie) sowie der Lokalisierung des Sprachzentrums befasst (Werni-
cke-Areal), avancierte Wernicke rasch zu einem der größten Widersacher der phänomenolo-
gischen Psychiatrie. Die Kritik von Jaspers bezieht sich vor allem auf Wernickes Behauptung,
es gebe unmittelbare Zusammenhänge zwischen Gehirnschädigungen und psychopatholo-
gischen Symptomen (vgl. hierzu Stellenkommentar Nr. 246). Hauptwerke: Der aphasische Sym-
ptomenkomplex. Eine psychologische Studie auf anatomischer Basis (1874); Grundriss der Psychia-
trie in klinischen Vorlesungen (3 Bde.; Bd. 1 u. 2:1894,1896; Bd.3:1900); Atlas des Gehirns: Schnitte
durch das menschliche Gehirn in photographischen Originalen (2 Bde., 1897-1903).
246 Jaspers sah trotz gegensätzlicher Ansätze eine gemeinsame Struktur beider Persönlichkei-
ten: »[B]eide verallgemeinern begrenzt Gültiges über das ganze Reich des Psychopathologi-
schen und Psychologischen, beide enden in abstrakten Konstruktionen« (AllgemeinePsycho-
pathologie, 2. Auflage [1920], 290-291; 4.-8. Auflage, 458). Zur Hirnmythologie Wernickes
schreibt Jaspers bereits in der ersten Auflage der Allgemeinen Psychopathologie: »Das noch im-
mer verbreitete >somatische Vorurteil* lautet etwa: alles Seelische ist als solches gar nicht zu
untersuchen, es ist bloß subjektiv. Soweit von ihm wissenschaftlich geredet werden soll, muß
es anatomisch, körperlich, als körperliche Punktion vorgestellt werden; hierfür sei es immer-
hin besser, eine vorläufige anatomische Konstruktion, die als heuristisch gilt, zu besitzen als
eine direkte psychologische Untersuchung. Solche anatomischen Konstruktionen sind durch-
aus phantastisch ausgefallen (Meynert, Wernicke) und werden mit Recht >Hirnmythologien< ge-
nannt. Dinge, die gar keine Beziehung zueinander haben wie Rindenzelle und Er-
innerungsbild, Hirnfaser und psychologische Assoziation werden zusammengebracht. Es
fehlt für diese Mythologien auch insofern jede Grundlage, als nicht ein einziger bestimmter
Hirnvorgang bekannt ist, der einem bestimmten seelischen Vorgang als direkte Parallel-
erscheinung zugeordnet wäre. Die Lokalisation der verschiedenen Sinnesgebiete auf die
Hirnrinde, der Aphasien an die linke Hemisphäre bedeuten nur, daß diese Organe intakt
sein müssen, damit ein bestimmter seelischer Vorgang möglich sei; jedoch im Prinzip nicht
anders als auch das intakte Funktionieren des Auges, der motorischen Mechanismen usw.
dazu notwendige Werkzeuge sind. Man ist in den neurologischen Mechanismen weiter hi-
nauf gedrungen, aber von den dem Seelischen eventuell parallel gehenden Erscheinungen
unendlich weit entfernt« (ebd., 8-9); vgl. zu Wernicke auch: Allgemeine Psychopathologie, 3.
Auflage, 324-327; leicht abgewandelt in der 4. Auflage, 16; vgl. zur Kritik an Freud: Allgemeine
Psychopathologie, 2. Auflage, 290-295; 4.-8. Auflage, 450-453.
247 Der Begriff »Identitätsphilosophie« findet vor allem in Bezug auf F. W. J. Schellings »absolu-
tes Identitäts-System« Verwendung, das dieser in der »Darstellung meines Systems der Philo-
sophie« [1801] entfaltet hatte (vgl.: AA I/io, 107-211,115). Schelling zufolge sind die Gegen-
sätze zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Stoff, Körperlichem und Seelischem, Denken
und Sein lediglich verschiedene Erscheinungsformen einer Wirklichkeit und fallen in einem
letzten Urgrund der Dinge, im Absoluten bzw. der absoluten Vernunft, zusammen. Schelling
nennt die Vernunft »die absolute Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven
und Objectiven gedacht wird« (116). Ferner betont er: »Die Vernunft ist Eins mit der absoluten
 
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