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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0125
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Vernunft und Existenz

wirklichung zu zweifeln. Er hat noch ein Vertrauen zur Wahrheit des Anderen, die
nicht die seine ist, aber als Wahrheit eine Weise der Kommunikationsmöglichkeit in
sich schließen müsse. Daher kann er unter der Last des Mißlingens nicht schlechthin
erlöschen. Vielleicht eignet ihm, wo er wirklich ist, eine hochgemute Bescheidung, in
der er sich eine Vision seines Weges als Idee entwirft - zwar ohne ausgebreitete Wirk-
lichkeit, aber als Ausdruck seiner nie sich selbst verratenden Möglichkeit:
Es kann das Äußerste an Klarheit und Wahrheit noch in kämpfender Feindschaft
entstehen, wenn ursprünglich wesensverschiedene Existenzen wissend im Daseins-
kampf ein Schicksal ergreifen, dem nicht zu entrinnen ist. Sie werden aus ihrer mög-
lichen Kommunikation den Kampf selbst unter Gesetze stellen, damit aufhören, ver-
schleierte Bestien zu sein, vielmehr ritterlich kämpfen, d.h. unter Gesetzen, welche
gegenseitig die mögliche Existenz voraussetzen und eine spätere echte Kommunika-
tion nicht unmöglich machen. Doch wenn dies erreicht wäre, so würde in der Tat der
♦ Sprung zur echten Kommunikation schon erfolgt sein; der Kampf wäre, so unter Be-
dingungen gestellt, nicht mehr Ablauf der Daseinsnotwendigkeiten, sondern wie ein
Spiel, wenn auch ein schicksalhaftes, lebenbedrohendes und vielleicht lebenvernich-
tendes Spiel.
Nur so wäre der grenzenlose Kommunikationswille als ein wahrhaftiger zu halten.
Es entstünde die Menschlichkeit, nicht als Weichheit, sondern als unabsehbares
Wachsenkönnen durch Offenheit, als Betroffenheit von jeder wirklichen Substanz, als
♦ einziges Bewußtsein der Grenze, an der sich der Wirklichkeit des Tuns nicht eine dog-
matisch starre, sondern echte Transzendenz zeigt.
Nur so wäre die wahre Stärke des Menschen zu verwirklichen. Die Macht des Un-
bedingten in ihm, in jeder Möglichkeit des Kampfes und der Frage geprüft, brauchte
99 nicht | mehr die Suggestion, den Haß, die Lust der Grausamkeit, um aktiv zu werden,
nicht den Rausch der großen Worte und der unverstandenen Dogmen, um an sich zu
glauben, und würde so erst eigentlich streng, hart und nüchtern. Erst auf diesem Wege
können Selbsttäuschungen verschwinden, ohne daß der Mensch mit dem Vernichten
seiner Lebenslügen selber vernichtet würde. So erst würde der echte Grund aus der
Tiefe sich schleierlos offenbaren.
Dagegen mit der Behauptung der einen Wahrheit als allgemeingültiger für alle
Menschen setzt - trotz der vergangenen Großartigkeit der darin lebenden Menschen
und ihrer Geschichte - zugleich die Unwahrhaftigkeit ein.
Das zeigt sich in den mannigfachsten Zusammenhängen. Ob diese eine Wahrheit
in der Gestalt einsehbarer Allgemeingültigkeit als der Form aller Wahrheit für das
♦ Werk der Vernunft genommen wird, oder umgekehrt als der übervernünftige oder ver-
nunftwidrige Glaubensinhalt, vor dieser gewaltsamen Wahrheit soll alles sich beugen,
auch ohne selbst dabei sein zu können. Da infolge der falschen Voraussetzung einer
im Grunde einzigen Form der dem Menschen zugänglichen Wahrheit und infolge der
 
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