Wahrheit als Mitteilbarkeit
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damit verbundenen Verkehrung der Vielfachheit des Umgreifenden an den Grenzen
ständig ein Nichtverstehen des mit dem eigenen Wahrheitsglauben Unstimmigen
bleibt, so tritt plötzlich der alle Kommunikation abbrechende Fanatismus auf. Im
scheinbar freien Medium des Sprechens, Mitteilens, Hörens, Zeigens und Begründens
entscheidet heimlich die brutale Gewalt des im Daseinszusammenhang äußerlich im
Augenblick Mächtigen.
Eine Lehre aber von den vielen Wahrheiten würde dieselbe Wirkung, Unwahrhaf-
tigkeit hervorzubringen, haben, wenn sie statt als Haltung grenzenlosen Kommunika-
tionswillens eines eigenen möglichen Wahrseins vielmehr als Wissen von der bekla-
genswerten Vielfachheit der Wahrheit | auftreten würde. Die vielen Wahrheiten sind
in dem Augenblick unwahr, wo sie von außen als viele gesehen, als Standpunkte fixier-
bar werden: denn alle Standpunkte kann der sie Denkende auch selbst einnehmen. Sie
werden ferner unwahr, wo sie sich gegenseitig gleichgültig sind und nur nebeneinander
stehen. Was nicht dasselbe werden kann und will, geht sich doch an durch einen Bezug
auf Transzendenz, der das Eine trifft, und der, selbst wenn unsere Götter verschiedene
sind, über alle nahen Götter den fernen Gott spürt, der verlangt, nicht in der Zerstreu-
ung des sich gleichgültigen und nur mit Daseinsfeindschaft um Daseinsraum sich be-
kämpfenden Vielerlei zu verfallen. 179 Es ist die Sophistik einer bequemen Toleranz, wel-
che gelten, aber sich nicht berühren läßt. Dagegen ist es die Wahrheit der Toleranz,180
welche hört und gibt und in den unabsehbaren Prozeß der die Gewalt einschränken-
den Kommunikation tritt, in welchem der Mensch aus seiner Wurzel die ihm mögliche
Höhe erreicht. Das Höchste gelingt nur in aneignender Verwandlung, im eindringen-
den Wissen - und sei es ein für sich verwerfendes - um alles in der Welt Begegnende.
In der Zeit die Vollendung und die Lösung zu fordern oder auch nur das Bild der
Lösung, wäre die Aufhebung der Aufgabe des immer nur in Kommunikation selbstwer-
denden Menschen. Es kommt darauf an, die Möglichkeiten des eigentlichen Mensch-
werdens nicht vorwegnehmend abzuschließen.
Unser Horizont schließt sich nicht ab mit inhaltlich erfüllten Bildern. Das für uns
philosophisch Letzte sind Formen unserer Haltung, sind Angaben eines Ziels, das selbst
nur als Form gedacht ist, sind die Wahrheiten, die nur in Ansätzen erfahren werden,
sind nicht fremde Unmöglichkeiten, sondern zu sprechen beginnende Möglichkei-
ten, wenn diese auch ständig wieder zu versinken scheinen.
| Die Unvollendung der Kommunikation und die Schwere ihres Scheiterns werden zur
Offenbarkeit einer Tiefe, die nichts zu erfüllen vermag als Transzendenz:
Wenn Gott ewig ist, ist für den Menschen Wahrheit als werdende Wahrheit und
zwar als Kommunikation werdende Wahrheit. Losgelöst von dieser ist sie als beste-
hende Wahrheit sogleich entartet zum Wissen von Etwas, statt selber zu sein, zur fer-
tigen Zufriedenheit statt des im Zeitdasein verzehrenden Anspruchs.
100
ioi ♦
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damit verbundenen Verkehrung der Vielfachheit des Umgreifenden an den Grenzen
ständig ein Nichtverstehen des mit dem eigenen Wahrheitsglauben Unstimmigen
bleibt, so tritt plötzlich der alle Kommunikation abbrechende Fanatismus auf. Im
scheinbar freien Medium des Sprechens, Mitteilens, Hörens, Zeigens und Begründens
entscheidet heimlich die brutale Gewalt des im Daseinszusammenhang äußerlich im
Augenblick Mächtigen.
Eine Lehre aber von den vielen Wahrheiten würde dieselbe Wirkung, Unwahrhaf-
tigkeit hervorzubringen, haben, wenn sie statt als Haltung grenzenlosen Kommunika-
tionswillens eines eigenen möglichen Wahrseins vielmehr als Wissen von der bekla-
genswerten Vielfachheit der Wahrheit | auftreten würde. Die vielen Wahrheiten sind
in dem Augenblick unwahr, wo sie von außen als viele gesehen, als Standpunkte fixier-
bar werden: denn alle Standpunkte kann der sie Denkende auch selbst einnehmen. Sie
werden ferner unwahr, wo sie sich gegenseitig gleichgültig sind und nur nebeneinander
stehen. Was nicht dasselbe werden kann und will, geht sich doch an durch einen Bezug
auf Transzendenz, der das Eine trifft, und der, selbst wenn unsere Götter verschiedene
sind, über alle nahen Götter den fernen Gott spürt, der verlangt, nicht in der Zerstreu-
ung des sich gleichgültigen und nur mit Daseinsfeindschaft um Daseinsraum sich be-
kämpfenden Vielerlei zu verfallen. 179 Es ist die Sophistik einer bequemen Toleranz, wel-
che gelten, aber sich nicht berühren läßt. Dagegen ist es die Wahrheit der Toleranz,180
welche hört und gibt und in den unabsehbaren Prozeß der die Gewalt einschränken-
den Kommunikation tritt, in welchem der Mensch aus seiner Wurzel die ihm mögliche
Höhe erreicht. Das Höchste gelingt nur in aneignender Verwandlung, im eindringen-
den Wissen - und sei es ein für sich verwerfendes - um alles in der Welt Begegnende.
In der Zeit die Vollendung und die Lösung zu fordern oder auch nur das Bild der
Lösung, wäre die Aufhebung der Aufgabe des immer nur in Kommunikation selbstwer-
denden Menschen. Es kommt darauf an, die Möglichkeiten des eigentlichen Mensch-
werdens nicht vorwegnehmend abzuschließen.
Unser Horizont schließt sich nicht ab mit inhaltlich erfüllten Bildern. Das für uns
philosophisch Letzte sind Formen unserer Haltung, sind Angaben eines Ziels, das selbst
nur als Form gedacht ist, sind die Wahrheiten, die nur in Ansätzen erfahren werden,
sind nicht fremde Unmöglichkeiten, sondern zu sprechen beginnende Möglichkei-
ten, wenn diese auch ständig wieder zu versinken scheinen.
| Die Unvollendung der Kommunikation und die Schwere ihres Scheiterns werden zur
Offenbarkeit einer Tiefe, die nichts zu erfüllen vermag als Transzendenz:
Wenn Gott ewig ist, ist für den Menschen Wahrheit als werdende Wahrheit und
zwar als Kommunikation werdende Wahrheit. Losgelöst von dieser ist sie als beste-
hende Wahrheit sogleich entartet zum Wissen von Etwas, statt selber zu sein, zur fer-
tigen Zufriedenheit statt des im Zeitdasein verzehrenden Anspruchs.
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