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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0219
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INachwort zur zweiten Auflage

Diese Vorlesungen von 1937, seit langem vergriffen, veröffentliche ich auf Wunsch des
Verlegers von neuem, obgleich die meisten ihrer Gedanken in meinem umfangreichen
Werke »Von der Wahrheit«275 vorkommen, aus dessen Manuskripten sie damals ent-
nommen wurden. Der Neudruck scheint mir erlaubt wegen des Sinns von »Existenz«
in der Situation, der diese Vorlesungen entsprungen sind.
Das Wort »Existenzphilosophie« hat eine nicht ganz durchsichtige Geschichte. Öf-
fentlich hat es, soweit ich sehe, zuerst Fritz Heinemann (Neue Wege der Philosophie,
1929) ausgesprochen;276 er erhebt den Anspruch der Priorität. Aber dann ist es durch
einen anonymen Vorgang erst im Lauf der Jahre zum Schlagwort für gegenwärtiges Phi-
losophieren geworden. Mir fiel Heinemanns Gebrauch des Wortes seinerzeit nicht auf,
da ich es seit Mitte der zwanziger Jahre in meinen Vorlesungen verwendete und es im
Blick auf Kierkegaard arglos für nichts Neues hielt. Ich war nicht gewillt und nicht der
Meinung, eine neue Philosophie damit zu lehren. In meinen Vorlesungen brauchte ich
das Wort Existenzerhellung für ein Teilgebiet der Philosophie. So faßte ich Heinemanns
Buch nicht als wirksame Kreierung einer neuen modernen Philosophie durch nament-
liche Feststellung ihres Daseins auf. Aber Heinemann hat für das öffentliche Reden
recht behalten.277 Das Wort Existenzphilosophie (insbesondere auf Heidegger bezogen
87 als den Urheber der Existentialphilosophie278) wurde als | Stigma des heutigen Philoso-
phierens, soweit es nicht logistisch und nicht traditionell279 ist, aufgegriffen und ist nun
unausrottbar. Obgleich alle Autoren, die als seine Inauguratoren gelten, sich dagegen
wenden, gilt es wie ein Phantom, unter dem das Heterogenste als identisch gesehen
wird. In meiner »Geistigen Situation der Zeit« (I93I)28° nahm ich selbst dies Wort für
eine philosophische Weise, vom Menschen zu denken.281 Meine gleichzeitige »Philo-
sophie« behandelte nur in einem der drei Bände die Existenzerhellung.282 Aber ich re-
dete auch von »Existenzphilosophie«, und zwar in dem Sinn dieser Vorlesungen, nach
dem »Existenz für den Augenblick das kennzeichnende Wort« der Philosophie wurde,
sie selber aber nur eine Gestalt der einen uralten Philosophie sei. Obgleich ich das Wort
als Titel für diese Vorlesungen akzeptierte, wollte ich das Schlagwort verwehren. Da-
mals war es noch nicht irreführend. Noch gab es nicht den Existentialismus Sartres, der
die Welt eroberte. Dieser ist einer fremden philosophischen Gesinnung entsprungen.
Noch war es möglich, mit dem Wort etwas ganz anderes zu treffen.
Dies andere war es, was mir allein am Herzen lag. Die Vorlesungen wurden geschrie-
ben in den Wochen nach meiner Entlassung aus dem Lehramt (weil meine Frau Jüdin
 
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