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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0023
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Grundsätze des Philosophierens

b. Bekenntniswahrheit und philosophische Wahrheit. - Philosophie ist nicht Reli-
gion. Ein philosophisches Bekenntnis - im Sinne eines Kennzeichens des Zugehörens
oder Nichtzugehörens zu einer geschichtlichen Glaubensgemeinschaft - gibt es nicht.
Philosophie kann über alle Abgründe hinweg jeden mit jedem verbinden, zwar nicht
immer in Gemeinschaft der Gesinnung, aber im Hören und Verstehen und im Gespräch
des Fragens und Antwortens. Wir können daher zwar keinen Katechismus eines philo-
sophischen Bekenntnisses, wohl aber Grundsätze des Philosophierens aufstellen.
Bekenntnis ist Glaube an den Inhalt von dogmatisch fixierten Sätzen, und Bekennt-
nis ist Einordnung: ich bekenne aus meinem Ursprung mit anderen das in Gemein-
schaft Gewordene. Bekenntniswahrheit ist also der objektive Halt einer Gemeinschaft
im Wahren für alle zu ihr Gehörenden. Solche Wahrheit ist Sache der Religion und der
ihr zugehörenden Institutionen.
Wenn es aber in der Philosophie keinen solchen fixierten Halt in Satz, Werk, Ge-
stalt gibt, so doch die am Leitfaden solcher Objektivitäten gewonnene Erinnerung,
welche erweckt und zum Aufschwung bringt. Philosophische Aussagen sind nicht Be-
kenntnisse, sondern Entwürfe von Möglichkeiten, Schritte von Denkbewegungen,
Versuche des Erklimmens des wahren Seinsbewusstseins. Das in solchen Aussagen dar-
gebotene Allgemeine ist nur Leitfaden für den je vom Leser zu gewinnenden konkre-
ten philosophischen Denkvollzug. Das je Einmalige aber ist kein Bekenntnisinhalt.
Wahrheit der Philosophie, die dem Bekenntnis analog wäre, liegt allein in der Praxis:
in der Unbedingtheit eines geschichtlichen Lebens des Einzelnen, in der Unbeirrbar-
keit seines geschichtlich gegründeten Ethos, in der Unbeugsamkeit des Wesens eines
Selbstseins.1 Diese Wahrheit ist nicht Wissensinhalt, hat aber in Aussagen ihren Erin-
nerungsanhalt und ihre Erscheinung.
Allgemeine Bekenntnissätze sind historisch fixiert, dogmatisch unbeweglich, ver-
schiedenartig in unübersehbarer historischer Mannigfaltigkeit. Sie sind, wo sie Gehalt
bergen, tief durch Vieldeutigkeit (so einige der christlichen Dogmen). Philosophisches
Bekennen dagegen ist als Praxis nicht zu verallgemeinern, ist ohne Anspruch auf Nach-
ahmung, ist aber wie eine zu den anderen ausgestreckte Hand, die Kommunikation
sucht. Ihre Gefahr, aber nicht ihr Wesen, ist die in stolzer Eigenmächtigkeit vollzogene
Absonderung vom Allgemeinen.
Philosophie als solche wendet sich an den Einzelnen. Gemeinschaftliche Philosophie
ist nicht Bekenntnis zu einem gemeinsamen Allgemeinen, sondern das Gespräch der Phi-
losophierenden, die in der Zeit sich treffen zu unabschliessbarer Kommunikation lieben-
den Kampfes, ist das Gespräch der Philosophen miteinander durch die Jahrtausende.
Eigentliches Philosophieren ist daher verloren, wo Philosophie in Sektenbildun-
gen, Gemeinschaftsstiftungen, »Schulen« auftritt; und es ist verloren in allen Grün-
dungen einer beschränkten Tradition in Analogie zu Religionen, Orden, Staaten. Phi-
losophie ist öffentlicher und allgemeiner Besitz - daseinsgebunden nur an Texte, an
 
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