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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0024
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Grundsätze des Philosophierens

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die Möglichkeit des freien Sprechens und an eine gewisse Muße zur Besinnlichkeit
ist zweckfrei in der Welt, ein überall allen, die es wollen, sich öffnender, stiller Raum
des Hellwerdens im Wahren.
Wenn sich Grundsätze des Philosophierens aufstellen lassen, so sind diese Anhalt
der Erinnerung an Urerfahrungen und ihre Erhellungsmöglichkeiten. Solche Sätze
können Anlass sein zur Wiederholung des Seinsbewusstseins im Wahren, können aber
nicht selber das fertige, als Lehre gegebene Wahre sein.
Wo ein Einzelner ein Philosophieren ausspricht - und nur in dieser Gestalt ist Phi-
losophieren mitteilbar -, kann diese Philosophie nicht eine für alle gütige, nicht eine
vollständige, nicht eine abgeschlossene Gestalt haben. Unsere Grundsätze sind daher
zwar ernst, aber kein Bekenntnis, zwar getragen von dem Glauben an in ihnen getrof-
fene Wahrheit, aber nicht Anspruch an bedingungslose Zustimmung, zwar bemüht
um Einstimmung des Anderen mit solcher Wahrheit, aber zugleich Antrieb, auch den
Fremden anzuregen und seine Infragestellung gegen uns zu steigern, alles in allem aber
Ausdruck des Willens zum Klarwerden im Ganzen.
c. Einwände gegen den Versuch, die Grundsätze des Philosophierens zu entwik-
keln. - Dieser Versuch, einer unter anderen, mit dem Philosophieren sich mitzuteilen,
kann gerade wegen seiner Kürze und der dadurch bedingten lehrhaften Darstellungs-
art (die dem Philosophieren an sich so ungemäss ist), von vornherein Einwände laut
werden lassen:
Es seien blosse Behauptungen: In der Tat ist diese Form unausweichlich. Aber sie ist
auch in den systematisch begründenden Darlegungen am Ende das letzte Fundament.
Behauptungen sind nicht nur rational mit Gründen und Gegengründen zu prüfen, son-
dern mit dem eigenen Wesen aufzufassen, anzueignen oder zu verwerfen. Knappheit
der Behauptung kann gerade eine entschiedene und klare Reaktion erwecken.
Es seien willkürliche subjektive Behauptungen: Sofern sie das sind, sind sie zu ver-
werfen. Es ist aber die Frage, ob nach lebenwährender Bemühung nicht aus der Natur
der Sache sich Behauptungen entwickeln, die nicht zufällig einer Stimmung, nicht der
Subjektivität von Interessen und Komplexen, nicht den Antrieben des Ressentiments
und der Legitimität entspringen. Ein Autor darf nur sagen, dass er sich mit durchhel-
lender Reinigung, mit wiederholter Prüfung nach seinen Kräften Mühe gegeben hat.
Das Verfahren sei unmethodisch: Das ist richtig, insofern die ausführliche Entwick-
lung von Gedankenbewegungen nach bewusster und spezifischer Methode hier nur in
abgebrochenen Fragmenten vorkommt. Die hier angewandte Methode ist eine blosse
Ordnung der Darstellung uns wesentlich erscheinender Grundsätze, nicht ihre Gestal-
tung zu einem Ganzen in einem Bau, in dem sichtbar eins das andere stützt und trägt.
Die Knappheit erfordert Wegfall vieler Zwischenglieder, Verkürzung und Vereinfachung.
Die Darstellung sei in der Kürze nicht verständlich: Wäre es so, dann wäre der Ver-
such misslungen. Aber es braucht nicht notwendig der Kürze wegen so zu sein. Philo-
 
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