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Grundsätze des Philosophierens
nes Lebens verfallen zu müssen3. Der philosophische Mensch erwächst13 im Überwin-
den der ständig gegenwärtigen Unphilosophie in ihm selber.
Die Unphilosophie erörtern wir nach zwei Richtungen. Es gibt erstens Grundan-
schauungen, welche wie Gehalte eines Glaubens im Unglauben anmuten. Von ihnen
charakterisieren wir beispielsweise die Dämonologie, die Menschenvergötterung, den
Nihilismus. Es gibt zweitens Formen des Falschwerdens des ursprünglich Wahren, die
wir als logisch-objektive und als psychologisch-subjektive Abgleitungen wiederum an
Beispielen zeigen.
i. Gegen Grundanschauungen des Unglaubens
Die Vielfachheit der Unphilosophie erscheint in Gestalten des Unglaubens. Sie verste-
hen sich selber zwar evident als Glaube oder als Wissen oder als Anschauen. Sie beru-
fen sich auf Gründe und auf unmittelbare Wahrnehmungen. Sie geben sich als ein Phi-
losophieren. Aber Unglaube ist doch jede Haltung, welche in der Immanenz unter
Leugnung der Transcendenz steht. Dann ist alsbald die Frage, was diese Immanenz sei.
Der Unglaube sagt: das Dasein, die Realität, die Welt. Aber was diese wiederum seien,
kann nie klar werden[,] ohne dass eine Grenze entsteht, die auf anderes weist. Das Da-
sein ist verschwindende Gegenwärtigkeit; es wird ergriffen in Bejahung von Werden
und Schein. Die Realität weicht gleichsam zurück, wenn ich sie an sich und im Gan-
zen erkennen will; sie wird ergriffen in Verabsolutierung partikularer Realitäten. Die
Welt ist ungeschlossen, unübersehbar, ist Idee; sie wird fälschlich zum Gegenstand in
einem sich schliessenden Weltbild. Der Unglaube lebt im Schein, in vereinzelten Rea-
litäten, in Weltbildern. Er ist nie beim Sein undc kann nicht umhin, irgendwelchen
Seinsersatz faktisch zuzulassen in Inhalten des Aberglaubens, die das oft verschleierte
Charakteristikum allen Unglaubens sind.d
a. Charakteristik und Kritik von drei Beispielen des Unglaubens: Dämonologie,
Menschenvergötterung, Nihilismus. - Solche Gestalten lassen sich objektiv charakte-
risieren durch eigentümliche Kategorien, subjektiv durch psychologische Verhaltungs-
weisen.6
a zu müssen in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Einf.
b erwächst in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Vdg. für verwirklicht sich
c Er ist nie beim Sein und im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu 11 Der Unglaube ist nie beim Sein, aber er
d nach sind, im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. Er anerkennt nur die Immanenz, aber er kann nicht um-
hin, die Transcendenz auf eine verkehrte Weise zur Geltung kommen zu lassen. 11
e im Vorlesungs-Ms. 1945/4 6 alternativer Beginn § 1. Charakteristik von drei Beispielen des Unglaubens: Ich
wähle als Beispiele die Dämonologie, die Menschenvergötterung, den Nihilismus. Diese spielen in un-
serem Zeitalter eine grosse Rolle. Offen und verborgen in zahllosen Verkleidungen begegnen sie uns.
In uns selber liegen sie bereit, uns zu verführen. Sie hängen unter sich so eng zusammen, dass die eine
Gestalt solchen Unglaubens bald auch die anderen hervortreibt. Sie sind ungemein schwer zu fassen,
Grundsätze des Philosophierens
nes Lebens verfallen zu müssen3. Der philosophische Mensch erwächst13 im Überwin-
den der ständig gegenwärtigen Unphilosophie in ihm selber.
Die Unphilosophie erörtern wir nach zwei Richtungen. Es gibt erstens Grundan-
schauungen, welche wie Gehalte eines Glaubens im Unglauben anmuten. Von ihnen
charakterisieren wir beispielsweise die Dämonologie, die Menschenvergötterung, den
Nihilismus. Es gibt zweitens Formen des Falschwerdens des ursprünglich Wahren, die
wir als logisch-objektive und als psychologisch-subjektive Abgleitungen wiederum an
Beispielen zeigen.
i. Gegen Grundanschauungen des Unglaubens
Die Vielfachheit der Unphilosophie erscheint in Gestalten des Unglaubens. Sie verste-
hen sich selber zwar evident als Glaube oder als Wissen oder als Anschauen. Sie beru-
fen sich auf Gründe und auf unmittelbare Wahrnehmungen. Sie geben sich als ein Phi-
losophieren. Aber Unglaube ist doch jede Haltung, welche in der Immanenz unter
Leugnung der Transcendenz steht. Dann ist alsbald die Frage, was diese Immanenz sei.
Der Unglaube sagt: das Dasein, die Realität, die Welt. Aber was diese wiederum seien,
kann nie klar werden[,] ohne dass eine Grenze entsteht, die auf anderes weist. Das Da-
sein ist verschwindende Gegenwärtigkeit; es wird ergriffen in Bejahung von Werden
und Schein. Die Realität weicht gleichsam zurück, wenn ich sie an sich und im Gan-
zen erkennen will; sie wird ergriffen in Verabsolutierung partikularer Realitäten. Die
Welt ist ungeschlossen, unübersehbar, ist Idee; sie wird fälschlich zum Gegenstand in
einem sich schliessenden Weltbild. Der Unglaube lebt im Schein, in vereinzelten Rea-
litäten, in Weltbildern. Er ist nie beim Sein undc kann nicht umhin, irgendwelchen
Seinsersatz faktisch zuzulassen in Inhalten des Aberglaubens, die das oft verschleierte
Charakteristikum allen Unglaubens sind.d
a. Charakteristik und Kritik von drei Beispielen des Unglaubens: Dämonologie,
Menschenvergötterung, Nihilismus. - Solche Gestalten lassen sich objektiv charakte-
risieren durch eigentümliche Kategorien, subjektiv durch psychologische Verhaltungs-
weisen.6
a zu müssen in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Einf.
b erwächst in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Vdg. für verwirklicht sich
c Er ist nie beim Sein und im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu 11 Der Unglaube ist nie beim Sein, aber er
d nach sind, im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. Er anerkennt nur die Immanenz, aber er kann nicht um-
hin, die Transcendenz auf eine verkehrte Weise zur Geltung kommen zu lassen. 11
e im Vorlesungs-Ms. 1945/4 6 alternativer Beginn § 1. Charakteristik von drei Beispielen des Unglaubens: Ich
wähle als Beispiele die Dämonologie, die Menschenvergötterung, den Nihilismus. Diese spielen in un-
serem Zeitalter eine grosse Rolle. Offen und verborgen in zahllosen Verkleidungen begegnen sie uns.
In uns selber liegen sie bereit, uns zu verführen. Sie hängen unter sich so eng zusammen, dass die eine
Gestalt solchen Unglaubens bald auch die anderen hervortreibt. Sie sind ungemein schwer zu fassen,