Grundsätze des Philosophierens
471
2. Der Christusglaube und das Christentum
a. Unterscheidung von Christusglaube und Christentum. - Im Mittelpunkt des Chri-
stentums steht, was sein Name sagt, der Glaube an Christus: Ein Mensch, Jesus, ist Got-
tes Sohn, ist Gott selbst, der sich im Leben und Sterben opfert für die Sünden der
Menschheit, aufersteht und allen an ihn Glaubenden das ewige Heil verheisst.
Doch wäre das Christentum zu eng gefasst, wenn man es durch diesen Glauben
charakterisieren wollte.
Keineswegs ist der so ausgesprochene Glaube allen Christen gemeinsam. Nicht ein-
mal ist er von Anfang an in solcher Gestalt da. In der Tat ist das Christentum viel mehr
als der Christusglaube, derart, dass in Grenzfällen der Christusglaube fällt und nur der
Glaube mit Jesus an Gott übrig bleibt. Der Christusglaube, der andere Weisen des Chri-
stusglaubens als haeretisch ablehnt, ist eine jeweils bestimmte enge Form, die ihrer-
seits in einer Vielfachheit da war und da ist.
Was nun aber das Christentum sei, ist empirisch nur zu beantworten durch Hin-
weis auf eine Entfaltung von bald zweiJahrtausenden. Das Christentum umfasst die
Ostkirche und die Westkirche und in beiden wieder mannigfache Ausprägungen, um-
fasst den Katholicismus und die protestantischen Konfessionen und andere Abzwei-
gungen, umfasst Kirchen, Sekten und einzelne Mystiker, kurz eine geistige Welt un-
übersehbaren Reichtums, angesichts deren es schwer, ja unmöglich wird, vom Wesen
des Christentums zu sprechen. Das Christentum hat historische Entwicklungen mit
immer neuen Auslegungen erlebt. Es gibt nicht die eine gleichbleibende christliche
Wahrheit äusser in den sich gegenseitig widersprechenden Behauptungen einzelner
Kirchen und Konfessionen. Historisch ist Jesus nicht der Begründer des Christentums,
er blickte nicht über den jüdischen Glauben hinaus, stiftete keine Kirchen, entwarf
keine Theologie, dachte nicht an Weltgestaltung, war überzeugt von dem noch für die
lebende Generation bevorstehenden Weitende. Eher haben historisch die Apostel und
vor allem Paulus das Christentum begründet. Die Historiker haben deutlich gemacht,
aus wie zahlreichen Momenten dann die Entwicklung und Verzweigung des Christen-
tums geschah: aus dem Glauben an das einmalige Heilsgeschehen; aus der Beziehung
auf das im Ganzen recipierte alte Testament; aus der Aufnahme einer umfassenden
spätantiken Überlieferung von Mysterienreligionen und Gnosis, von griechischer, ins-
besondere platonischer Philosophie; aus den römischen Rechts- und Amtsordnungen
usw.; man spricht von Hellenisierung, von Germanisierung des Christentums.
Es kann fraglich sein, ob durch alles dies hindurch dem Christentum etwas ande-
res gemeinsam sei als Worte, die in sehr verschiedenem Sinn gebraucht werden. Alles
bestimmte Christliche ist eine Erscheinung innerhalb des Christentums, das histo-
risch umfassender als jede seiner besonderen Gestalten bleibt. Innerhalb der Christen-
heit spricht zwar der eine dem anderen das Christentum ab. Die christliche Welt ist
471
2. Der Christusglaube und das Christentum
a. Unterscheidung von Christusglaube und Christentum. - Im Mittelpunkt des Chri-
stentums steht, was sein Name sagt, der Glaube an Christus: Ein Mensch, Jesus, ist Got-
tes Sohn, ist Gott selbst, der sich im Leben und Sterben opfert für die Sünden der
Menschheit, aufersteht und allen an ihn Glaubenden das ewige Heil verheisst.
Doch wäre das Christentum zu eng gefasst, wenn man es durch diesen Glauben
charakterisieren wollte.
Keineswegs ist der so ausgesprochene Glaube allen Christen gemeinsam. Nicht ein-
mal ist er von Anfang an in solcher Gestalt da. In der Tat ist das Christentum viel mehr
als der Christusglaube, derart, dass in Grenzfällen der Christusglaube fällt und nur der
Glaube mit Jesus an Gott übrig bleibt. Der Christusglaube, der andere Weisen des Chri-
stusglaubens als haeretisch ablehnt, ist eine jeweils bestimmte enge Form, die ihrer-
seits in einer Vielfachheit da war und da ist.
Was nun aber das Christentum sei, ist empirisch nur zu beantworten durch Hin-
weis auf eine Entfaltung von bald zweiJahrtausenden. Das Christentum umfasst die
Ostkirche und die Westkirche und in beiden wieder mannigfache Ausprägungen, um-
fasst den Katholicismus und die protestantischen Konfessionen und andere Abzwei-
gungen, umfasst Kirchen, Sekten und einzelne Mystiker, kurz eine geistige Welt un-
übersehbaren Reichtums, angesichts deren es schwer, ja unmöglich wird, vom Wesen
des Christentums zu sprechen. Das Christentum hat historische Entwicklungen mit
immer neuen Auslegungen erlebt. Es gibt nicht die eine gleichbleibende christliche
Wahrheit äusser in den sich gegenseitig widersprechenden Behauptungen einzelner
Kirchen und Konfessionen. Historisch ist Jesus nicht der Begründer des Christentums,
er blickte nicht über den jüdischen Glauben hinaus, stiftete keine Kirchen, entwarf
keine Theologie, dachte nicht an Weltgestaltung, war überzeugt von dem noch für die
lebende Generation bevorstehenden Weitende. Eher haben historisch die Apostel und
vor allem Paulus das Christentum begründet. Die Historiker haben deutlich gemacht,
aus wie zahlreichen Momenten dann die Entwicklung und Verzweigung des Christen-
tums geschah: aus dem Glauben an das einmalige Heilsgeschehen; aus der Beziehung
auf das im Ganzen recipierte alte Testament; aus der Aufnahme einer umfassenden
spätantiken Überlieferung von Mysterienreligionen und Gnosis, von griechischer, ins-
besondere platonischer Philosophie; aus den römischen Rechts- und Amtsordnungen
usw.; man spricht von Hellenisierung, von Germanisierung des Christentums.
Es kann fraglich sein, ob durch alles dies hindurch dem Christentum etwas ande-
res gemeinsam sei als Worte, die in sehr verschiedenem Sinn gebraucht werden. Alles
bestimmte Christliche ist eine Erscheinung innerhalb des Christentums, das histo-
risch umfassender als jede seiner besonderen Gestalten bleibt. Innerhalb der Christen-
heit spricht zwar der eine dem anderen das Christentum ab. Die christliche Welt ist