Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0418
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grundsätze des Philosophierens

415

aa. Dämonologie: Dämonologie ist eine Anschauung, welche das Sein in Mächten,
in Dämonen, in wirksamen gestaltbildenden Kräften, aufbauenden und zerstörenden,
wohlwollenden und bösartigen, in Göttern mit unmittelbarer Überzeugung erblickt
und dann denkt. Es vollzieht sich eine Heiligung sowohl des Guten wie des Bösen, und
in allem eine Steigerung des Realen zum Wirklichen durch Miterblicken dunkler Tie-
fen, die in Bildern der Wesen erscheinen? Es gibt zwar keine Transcendenz, denn alles
Sein ist für diese Anschauung weltimmanent, aber diese Immanenz ist nicht erschöpft
mit der vom Bewusstsein überhaupt erkennbaren Realität; sie ist mehr als diese, sie gilt
als eine immanente Transcendenzb, sofern die Wirklichkeit in der sinnlich und ratio-
nal fassbaren Realität nicht aufgeht?
Geschieht eine Hingabe an diese Mächte, so gewinnt das Erleben durch solche An-
schauung eine gehobene Bedeutung, einen Glanz aus dem Geheimnis. Unheimlich-
keit, Schauer,0 Ergriffenheit, Hingerissenheit der Seele werden dieser Mächte inne und
erblicken sie gleichsam leibhaftig. Kampf gegen sie steigert den Menschen selber in
die Welt des Dämonischen hinein, Einsfühlen mit ihnen, Besessenheit vom Dämon
verleiht den unbegründbaren Schwung des Glaubens an Gelingen6. Mythen sind die
gemässe Wahrheit. Sehnsucht in die mythischen Zeitalter zurück, Aufstellung eigener
neuer Mythen, Denken in Mythen ergreift den Lebensgrund.
Es ist der Drang im Menschen, das Göttliche sich nah zu bringen, es unmittelbar
zu erleben und gegenwärtig in der Welt zu erfahren. Das geschieht durch die Heiligung
aller menschlichen Antriebe - ein »Gott« war es, nicht ich, der es tat -, und durch die
Verzauberung der Welt im mythischen Licht des Göttlichen.

denn sie entziehen sich endgiltiger Bestimmung. In ihrer Aussprache bedienen sie sich aller philoso-
phischen Mittel. Dadurch täuschen sie sich selber und den Anderen zugleich. Ihre Charakteristik wird
daher schon zu einer fälschlichen Bestimmung. Man zieht bestimmte Linien in einem tatsächlich sich
ständig verwandelnden, sich anders zeigenden, sich selbst widersprechenden, unberechenbar aggres-
siven Durcheinander. Man hat keinen klar fasslichen Gegner sich gegenüber. Die Mystagogie in dämo-
nologischer Anschauung verbindet sich mit der Vergötzung von Menschen, denen man sich unter-
wirft, und dem Nihilismus, mit dem man dies alles auch wieder auslöscht. 11 Man darf die Charakteristik,
die ich versuche, nicht auf sich oder einen bestimmten Menschen beziehen. Es sind idealtypische Kon-
struktionen. Ein einzelner Mensch ist immer noch mehr und vor allem selber die Möglichkeit des An-
deren, des Glaubens, der diese Weisen des Unglaubens überwindet. Und in diesen Weisen des Unglau-
bens ist Wahrheit verborgen, auf die wir am Ende uns zu besinnen haben. 11
a nach erscheinen, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Das Immanente wird selber als göttlich erfah-
ren, die Leidenschaft, die Macht, die Vitalität, die Schönheit, die Zerstörung, die Grausamkeit.
b immanente Transcendenz im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu »immanente Transcendenz«
c nach aufgeht, im Vorlesungs-Ms. 1945/4 6 hs. Einf. Der paradoxe Ausdruck der »immanenten Transcen-
denz« meint nicht mehr die Dinge als mögliche Sprache der Gottheit, sondern die Transcendenz als
Macht und Faktor in der Welt, und zwar notwendig in der Zerspaltenheit zu vielen Mächten. 11
d nach Schauer, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Entsetzen,
e des Glaubens an Gelingen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu des Aberglaubens an das Gelin-
gen des eigenen Tuns und Lebens
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften