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Grundsätze des Philosophierens
meinschaft infragesteilenden und fördernden Wissens in vertrauendem Hingebena zu
gründen); ihr mangelt der Sinn für Ausnahme und Autorität, an denen beiden alles
menschliche Leben sich orientieren muss.
Wahre Aufklärung dagegen setzt zwar dem Denken und dem Fragenkönnen nicht
absichtlich eine Grenze, wird sich aber der faktischen Grenze bewusst. Sie klärt nicht
nur das bis dahin Unbefragte, die Vorurteile und vermeintlichen Selbstverständlich-
keiten, sondern auch sich selber auf. Sie verwechselt nicht die Wege des Verstandes
mit den geschenkten Gehalten des Menschseins. Diese Gehalte sind zwar erhellbar
durch einen vernünftig geführten Verstand, aber nicht auf ihn zu gründen.
Wenn der wahren Aufklärung noch der Vorwurf der Eigenmächtigkeit gemacht
wird, so verkennt dieser Vorwurf, dass Gott nicht durch Befehle und Offenbarungen
anderer Menschen, sondern im Selbstsein des Menschen durch dessen Freiheit spricht,
nicht von aussen, sondern von innen. Wird die von Gott geschaffene, auf Gott bezo-
gene Freiheit des Menschen beeinträchtigt, so gerade das, wodurch indirekt Gott sich
kundgibt. Es erwächst mit der Bekämpfung der Freiheit in der Tat ein Aufstand gegen
Gott zugunsten vermeintlich göttlicher, von Menschen erdachter Inhalte, Gebote und
Verbote, von Menschen eingerichteter Ordnungen und Handlungsweisen, in denenb
Torheit und Weisheit ungeschieden durcheinander gehen. Indem siec dem Befragen
entzogen werden, fordern sied die Preisgabe der menschlichen Aufgabe. Denn die Ver-
werfung der Aufklärung ist wie ein Verrat am Menschen; sie entspringt einem Drang
ins Absurde, in den blinden Gehorsam gegen Menschen, die als Sprachrohr Gottes ge-
glaubt werden; sie entspringt der Leidenschaft zur Nacht, die dem Gesetze des Tages
nicht mehr folgt, sondern in erfahrener Bodenlosigkeit eine vermeintlich rettende
Scheinordnung grundlos erbaut. Daher der Drang der Glaubenslosigkeit, die Glauben
will und sich ihn einredet.e
Dassf die Angriffe gegen die Aufklärung immer wieder sinnvoll scheinen, beruht
auf den jederzeit drohenden Verkehrungen der Aufklärung®. Diese11 sind möglich we-
gen der Schwere der Aufgabe. Mit dem Erwachen der Aufklärung zwar geht der Enthu-
siasmus des frei werdenden Menschen einher, der sich durch seine Freiheit offener für
a in vertrauendem Hingeben im Vorlesungs-Ms. 1945/46 gestr.
b nach denen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. wie bei allen menschlichen Dingen
c Indem sie im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Wenn diese
d fordern sie im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu so fordern sie damit
e nach einredet, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Weil Aufklärung der unerlässliche Weg des Men-
schen ist, wird sie bejaht auch von autoritären kirchlichen und staatlichen Institutionen. Soweit
diese die Aufklärung verhindern wollten, geschah seitens des Philosophierens die Abwehr.
f nach Dass im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. aber
g nach Aufklärung im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. , gegen die der Angriff in der Tat berechtigt
und notwendig ist
h Diese im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Die Verkehrungen
Grundsätze des Philosophierens
meinschaft infragesteilenden und fördernden Wissens in vertrauendem Hingebena zu
gründen); ihr mangelt der Sinn für Ausnahme und Autorität, an denen beiden alles
menschliche Leben sich orientieren muss.
Wahre Aufklärung dagegen setzt zwar dem Denken und dem Fragenkönnen nicht
absichtlich eine Grenze, wird sich aber der faktischen Grenze bewusst. Sie klärt nicht
nur das bis dahin Unbefragte, die Vorurteile und vermeintlichen Selbstverständlich-
keiten, sondern auch sich selber auf. Sie verwechselt nicht die Wege des Verstandes
mit den geschenkten Gehalten des Menschseins. Diese Gehalte sind zwar erhellbar
durch einen vernünftig geführten Verstand, aber nicht auf ihn zu gründen.
Wenn der wahren Aufklärung noch der Vorwurf der Eigenmächtigkeit gemacht
wird, so verkennt dieser Vorwurf, dass Gott nicht durch Befehle und Offenbarungen
anderer Menschen, sondern im Selbstsein des Menschen durch dessen Freiheit spricht,
nicht von aussen, sondern von innen. Wird die von Gott geschaffene, auf Gott bezo-
gene Freiheit des Menschen beeinträchtigt, so gerade das, wodurch indirekt Gott sich
kundgibt. Es erwächst mit der Bekämpfung der Freiheit in der Tat ein Aufstand gegen
Gott zugunsten vermeintlich göttlicher, von Menschen erdachter Inhalte, Gebote und
Verbote, von Menschen eingerichteter Ordnungen und Handlungsweisen, in denenb
Torheit und Weisheit ungeschieden durcheinander gehen. Indem siec dem Befragen
entzogen werden, fordern sied die Preisgabe der menschlichen Aufgabe. Denn die Ver-
werfung der Aufklärung ist wie ein Verrat am Menschen; sie entspringt einem Drang
ins Absurde, in den blinden Gehorsam gegen Menschen, die als Sprachrohr Gottes ge-
glaubt werden; sie entspringt der Leidenschaft zur Nacht, die dem Gesetze des Tages
nicht mehr folgt, sondern in erfahrener Bodenlosigkeit eine vermeintlich rettende
Scheinordnung grundlos erbaut. Daher der Drang der Glaubenslosigkeit, die Glauben
will und sich ihn einredet.e
Dassf die Angriffe gegen die Aufklärung immer wieder sinnvoll scheinen, beruht
auf den jederzeit drohenden Verkehrungen der Aufklärung®. Diese11 sind möglich we-
gen der Schwere der Aufgabe. Mit dem Erwachen der Aufklärung zwar geht der Enthu-
siasmus des frei werdenden Menschen einher, der sich durch seine Freiheit offener für
a in vertrauendem Hingeben im Vorlesungs-Ms. 1945/46 gestr.
b nach denen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. wie bei allen menschlichen Dingen
c Indem sie im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Wenn diese
d fordern sie im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu so fordern sie damit
e nach einredet, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Weil Aufklärung der unerlässliche Weg des Men-
schen ist, wird sie bejaht auch von autoritären kirchlichen und staatlichen Institutionen. Soweit
diese die Aufklärung verhindern wollten, geschah seitens des Philosophierens die Abwehr.
f nach Dass im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. aber
g nach Aufklärung im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. , gegen die der Angriff in der Tat berechtigt
und notwendig ist
h Diese im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Die Verkehrungen