Grundsätze des Philosophierens
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sich selbst kommt. Es ist notwendig, sich über Ansprüche, Sinn und Geltung der Auf-
klärung und ihrer Missverständnisse klar zu sein.
aa. Forderungen der Aufklärung: Aufklärung richtet sich gegen die Blindheit des
fraglosen Fürwahrhaltens; gegen Handlungen, die nicht bewirken können, was sie
meinen, da sie auf nachweislich falschen Voraussetzungen beruhen; gegen das Verbot
des einschränkungslosen Fragens und Forschens; gegen überkommene Vorurteile. Auf-
klärung fordert unbegrenztes Bemühen um Einsicht und ein kritisches Bewusstsein
von der Art und Grenze jeder Einsicht.
Es ist der Anspruch des modernen Menschen, es solle ihm einleuchtend werden,
was er meint, will und tut. Er will selbst denken. Er will mit dem Verstände fassen und
möglichst bewiesen haben, was wahr ist. Er verlangt Anknüpfung an grundsätzlich je-
dermann zugängliche Erfahrungen. Er sucht Wege zum Ursprung der Einsicht, statt
sie als fertiges Ergebnis zur Annahme vorgelegt zu erhalten. Er will einsehen, in wel-
chem Sinne ein Beweis gilt und an welchen Grenzen der Verstand scheitert. Begrün-
dung möchte er auch noch für das, was er am Ende als unbegründbare Voraussetzung
zum Grunde seines Lebens machen muss, für die Autorität, der er folgt, für die Ehr-
furcht, die er fühlt, für den Respekt, den er dem Gedanken und Tun grosser Menschen
erweist, für das Vertrauen, das er einem, sei es zur Zeit und in dieser Situation, sei es
überhaupt Unbegriffenen und Unbegreifbaren schenkt. Noch im Gehorsam will er
wissen, warum er gehorcht. Alles, was er für wahr hält, und als recht tut, stellt er ohne
Ausnahme unter die Bedingung, selbst innerlich dabei sein zu können. Er ist nur da-
bei, wenn seine Zustimmung in seiner Einsicht die Bestätigung findet.
bb. Wahre und falsche Aufklärung: Gegen die Aufklärung ist, wo immer sie begann,
gekämpft worden. Man sagte: sie zerstöre die Überlieferung, auf der alles Leben ruhe;
sie löse den Glauben auf und führe zum Nihilismus; sie sei die falsche Eigenmächtig-
keit des Menschen, der sich selbst verdanken wolle, was ihm nur durch Gnade ge-
schenkt werde; sie gebe jedem Menschen die Freiheit seiner Willkür, werde daher Aus-
gang der Unordnung und Anarchie; sie mache den Menschen unselig, weil bodenlos.
Diese Vorwürfe treffen eine falsche Aufklärung, d.h. eine Aufklärung, die ihren ei-
genen Sinn nicht mehr versteht. Falsche Aufklärung meint, alles Wissen und Wollen
und Tun auf den blossen Verstand gründen zu können (statt den Verstand nur alsa Weg
der Erhellung dessen, was ihm gegeben werden muss, zu nutzen); sie verabsolutiert die
immer partikularen Verstandeserkenntnisse (statt sie nur in dem ihnen zukommen-
den Bereich sinngemäss anzuwenden); sie verführt den Einzelnen zum Anspruch, für
sich allein wissen zu können und auf Grund seines Wissens allein handeln zu können,
als ob der Einzelne alles wäre (statt sich auf den lebendigen Zusammenhang des in Ge-
nach als im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. den nie umgangenen
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sich selbst kommt. Es ist notwendig, sich über Ansprüche, Sinn und Geltung der Auf-
klärung und ihrer Missverständnisse klar zu sein.
aa. Forderungen der Aufklärung: Aufklärung richtet sich gegen die Blindheit des
fraglosen Fürwahrhaltens; gegen Handlungen, die nicht bewirken können, was sie
meinen, da sie auf nachweislich falschen Voraussetzungen beruhen; gegen das Verbot
des einschränkungslosen Fragens und Forschens; gegen überkommene Vorurteile. Auf-
klärung fordert unbegrenztes Bemühen um Einsicht und ein kritisches Bewusstsein
von der Art und Grenze jeder Einsicht.
Es ist der Anspruch des modernen Menschen, es solle ihm einleuchtend werden,
was er meint, will und tut. Er will selbst denken. Er will mit dem Verstände fassen und
möglichst bewiesen haben, was wahr ist. Er verlangt Anknüpfung an grundsätzlich je-
dermann zugängliche Erfahrungen. Er sucht Wege zum Ursprung der Einsicht, statt
sie als fertiges Ergebnis zur Annahme vorgelegt zu erhalten. Er will einsehen, in wel-
chem Sinne ein Beweis gilt und an welchen Grenzen der Verstand scheitert. Begrün-
dung möchte er auch noch für das, was er am Ende als unbegründbare Voraussetzung
zum Grunde seines Lebens machen muss, für die Autorität, der er folgt, für die Ehr-
furcht, die er fühlt, für den Respekt, den er dem Gedanken und Tun grosser Menschen
erweist, für das Vertrauen, das er einem, sei es zur Zeit und in dieser Situation, sei es
überhaupt Unbegriffenen und Unbegreifbaren schenkt. Noch im Gehorsam will er
wissen, warum er gehorcht. Alles, was er für wahr hält, und als recht tut, stellt er ohne
Ausnahme unter die Bedingung, selbst innerlich dabei sein zu können. Er ist nur da-
bei, wenn seine Zustimmung in seiner Einsicht die Bestätigung findet.
bb. Wahre und falsche Aufklärung: Gegen die Aufklärung ist, wo immer sie begann,
gekämpft worden. Man sagte: sie zerstöre die Überlieferung, auf der alles Leben ruhe;
sie löse den Glauben auf und führe zum Nihilismus; sie sei die falsche Eigenmächtig-
keit des Menschen, der sich selbst verdanken wolle, was ihm nur durch Gnade ge-
schenkt werde; sie gebe jedem Menschen die Freiheit seiner Willkür, werde daher Aus-
gang der Unordnung und Anarchie; sie mache den Menschen unselig, weil bodenlos.
Diese Vorwürfe treffen eine falsche Aufklärung, d.h. eine Aufklärung, die ihren ei-
genen Sinn nicht mehr versteht. Falsche Aufklärung meint, alles Wissen und Wollen
und Tun auf den blossen Verstand gründen zu können (statt den Verstand nur alsa Weg
der Erhellung dessen, was ihm gegeben werden muss, zu nutzen); sie verabsolutiert die
immer partikularen Verstandeserkenntnisse (statt sie nur in dem ihnen zukommen-
den Bereich sinngemäss anzuwenden); sie verführt den Einzelnen zum Anspruch, für
sich allein wissen zu können und auf Grund seines Wissens allein handeln zu können,
als ob der Einzelne alles wäre (statt sich auf den lebendigen Zusammenhang des in Ge-
nach als im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. den nie umgangenen