Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0196
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grundsätze des Philosophierens

193

ven Haltung, die sich ihrer nicht bemächtigt, sondern sich ihr hingibt und dadurch
in der eigenen Subjektivität zu voller Gegenwärtigkeit bringt.
Die Natur umfängt den Menschen anfänglich in unbestimmter, fliessender Totali-
tät, oder zeigt sich in zerstreuten Einzelheiten. In der Folge entfaltet sich die Natur für
uns zu Bereichen bestimmter Weisen ihres Daseins. Als Ganzes wird sie fraglich, wenn
sie im Besonderen Gegenstand der Forschung wird.
1) Die Natur ist eine Fülle von Bildern und Bedeutungen, ungeschieden in der Art
der Bedeutungen, durchweg beseelt. Es ist die Natur, der das magische Handeln zuge-
ordnet ist, das ungeschieden mit mechanisch-zweckhaftem Tun einhergeht.
2) Die Natur ist ein Ganzes, die Welt. Im Weltbild steht sie vor Augen. Das Weltbild
ist mythisch, wenn es in Bildern und Erzählungen sich darstellt, rational, wenn es in
Begriffen gedacht wird.
3) Die Natur wird Gegenstand der Forschung. Damit zerspaltet sie sich. Indem Me-
chanik und seelischer Umgang sich trennen, scheidet sich in der Natur das Unleben-
dige vom Eebendigen. Die Scheidungen gehen weiter.
Die Forschung geschieht in vielen Richtungen und Stufen. Sie sammelt und ord-
net die Gestalten der Natur, indem sie Morphologie oder beschreibende Naturge-
schichte wird (dabei sieht sie als Forschung ab von Schönheit und Seelenhaftigkeit,
sondern beschränkt sich auf die Objektivitäten des Sichtbaren, das rational erfasst und
in sinnhaften Zweckmässigkeiten aufgezeigt werden kann). Sie erklärt die Gestalten
und das Geschehen aus Ursachen (diese findet sie zunächst in selbstverständlichen Er-
fahrungsregeln des Alltags, dann wird das Auffinden der Causalgesetze selber zum ei-
gentlichen Thema). Sie entwirft specifische Erklärungen, vor allem die Mathematisie-
rung (unter Preisgabe von Substanz und Wesen aller Naturdinge dringt sie vor zum
reinen mathematischen, schliesslich auch unanschaulichen Gebilde, als dessen Ver-
wirklichung sie die Naturrealität begreift).
4) Die Natur wird ein Bereich der wissenschaftlichen Weltvorstellung im Ganzen.
Die wissenschaftliche Weltvorstellung verzichtet auf ein Weltbild. Die Welt bleibt zer-
spalten, wie sie sich allein der Forschung zeigt. Innerhalb eines nie erreichbaren Gan-
zen aber werden partikulare Einheiten gewonnen: Die Totalität des Allgemeinen in Na-
turgesetzen (Causalregeln und Causalgesetzen), die je ein Ganzes von Erkenntnissen
sind; weiter in anderen Kategorienbereichen (Funktion, Gestalt usw.), die je eine Weise
gegenständlichen Seins umreissen; - ferner die Totalität des historisch Gegebenen der
Welt im Planeten, den wir bewohnen, im Kosmos, den wir astronomisch ins Grenzen-
lose vordringend beschreiben3.
Das theoretische Wissen von der Natur kann sich nicht als eine einzige umfassende
Einheit entfalten, sondern nur in einem Nebeneinander mannigfacher Weisen, in de-

beschreiben im Ms. hs. Vdg. für erkennen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften