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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0202
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Grundsätze des Philosophierens

199

c) Die Welt ist unendlich. Aber nur Endliches kann Gegenstand unserer Erkennt-
nis werden. Das Unendliche kann nur indirekt ergreifbar sein durch eine Regel des
Fortschreitens, nicht direkt als ein im Ganzen Ergriffenes. Was unendlich ist, ist nicht
Gegenstand.
Wohl kann die Erfahrung des Unendlichen Vehikel unseres Transcendierens wer-
den; dann aber führt der Gedanke über das Erkennbare hinaus. Oder das Unendliche
wird fälschlich zum Gegenstand, als ob es endlich werde; dann entstehen Paradoxien
und Antinomien.
2. »Die Welt ist eine in sich continuierliche, geschlossene Ordnung des Gesche-
hens.« Diese Voraussetzung scheitert an der Zerspaltenheit des Weltseins.
a) Zerspalten ist die Wirklichkeit. Das physikalische Geschehen des Unlebendigen,
das biologische Geschehen, das Bewusstsein, der Geist sind vier Wirklichkeiten, von
denen jede spätere zwar an die Wirklichkeit der früheren, nicht aber umgekehrt, gebun-
den ist. Sie stehen durch einen Sprung getrennt, ohne Continuität, nebeneinander.
Keine lässt sich aus der anderen ableiten, nicht als Entwicklung aus der vorhergehen-
den begreifen. Wenn man bei mangelnder Erkenntnis, nur im Ungefähren redend, die
Brüche durch vermeintliche Übergänge verschleierte, so hat heute die wachsende Klar-
heit empirischer Erkenntnis die Sprünge nur entschiedener gemacht, sie radikaler se-
hen gelehrt. Das Continuitätsprincip scheitert in der Welterkenntnis an den Sprüngen.
b) Zerspalten ist die Methode, jeder Methode zeigt sich ein Weltsein, nicht die Welt,
ein Besonderes, nicht Alles, eine Perspektive in die Welt, nicht die Welt selbst.
Zum Beispiel kann die Erforschung der Natur methodisch entweder auf die immer
gleichen Gesetze ihres Geschehens, auf ihre immer gleichen Kräfte, das Allgemeine
ihres Seins gehen; - oder sie kann methodisch grade die einmalige geschehende Wirk-
lichkeit, das Sogewordensein der Erde, die Folge der Zeitalter der Naturgeschichte ins
Auge fassen. Es ist etwas radikal Anderes, ob ich die chemischen Eigenschaften des
Schwefels erforsche, seine Stellung im periodischen System der Elemente, seine Ver-
bindungen, oder ob ich mein Augenmerk darauf richte, wo der Schwefel der Welt vor-
kommt. Der letztere Tatbestand ist mit den Mitteln der Erkenntnis auf dem ersten Wege
nicht zu begreifen. So ergeben sich zwei Grundaspekte in der Geologie: Die Forschung,
welche voraussetzt, dass jederzeit die gleichen Bedingungen waren, dass alles, was ge-
schehen ist, zu begreifen sei aus den Kräften und Gesetzen, die wir auch heute am
Werke sehen; und die Forschung, welche diese Voraussetzung nicht für absolut giltig
hält, sondern nach dem Einmaligen in der Zeitfolge sucht, eine wirkliche Geschichte
der Natur, der Erde, des Lebens ins Auge fasst. Beide Forschungsrichtungen können
nicht zu einem einzigen Ganzen zusammenfallen. Der generalisierende Naturforscher
wird die historische Betrachtung, sofern sie etwas anderes meint als blosse Anwendung
der allgemeinen Erkenntnisse, für Phantastik halten oder für eine Feststellung von
Gleichgiltigkeiten. Der historische Naturforscher wird in der generalisierenden Er-
 
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