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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0201
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Grundsätze des Philosophierens

Diese Grenze wird deutlich, wenn man die falsche Voraussetzung von der Erkenn-
barkeit des Weltganzen an Tatbeständen der Forschung scheitern sieht. Das ist in Kürze
zu vergegenwärtigen. Die Voraussetzung nimmt beispielsweise folgende Gestalten an:
1. »Die Welt wird als ein vollendetes Ganzes Gegenstand für uns.« Diese Vorausset-
zung hält es für eine sinnvolle Aufgabe, die Welt im Weltbild einzufangen, hält ein ein-
ziges, wahres, umfassendes Weltbild für erreichbar. Sie scheitert jedoch mit dem Zer-
brechen eines jeden uns zum Gegenstand gewordenen Weltganzen:
a) Aussagen über die Welt verstricken sich in Antinomien, d.h. in sich widerspre-
chende Thesen, die beide gleicherweise beweisbar erscheinen. Kant z.B. zeigte, dass
die Welt unendlich oder endlich im Raume, mit oder ohne Anfang in der Zeit denkbar
und zugleich nicht denkbar ist.151 Wenn aber ein Gegenstand den Charakter hat, in
Aussagen über ihn widersprechende Sätze zu bewirken, so hat er damit aufgehört, Ge-
genstand zu sein. Er ist im Sichwidersprechen als Gegenstand verschwunden.
b) Die Welt ist nicht Gegenstand, sondern Idee (im Sinne Kants).152 Was dieser Satz
besagt, geht aus dem Sinn der Forschung hervor:
Forschung geht auf Dinge in der Welt. Sie bleibt in der Welt, die jeden ihrer Gegen-
stände umschliesst als ein immer noch weiteres Sein. Sie erreicht nicht die Welt. Als
Erforschung der Dinge in der Welt behält sie aber nur Sinn, wenn sie jeweils gelenkt
wird von der Idee, die ihr Zusammenhang und Ziel gibt. Denn aus der Welt kommt ihr
gleichsam entgegen, was ihrem Suchen systematischer Einheit der erforschten Dinge
entspricht, etwa die systematische Ordnung aller Gestalten des Lebendigen, oder der
Zusammenhang aller Eigenschaften der Körperwelt in der Materie. Wenn die Idee dem
forschenden Bewusstsein verloren geht, so muss alles Erkannte ins Endlose auseinan-
der fallen und sich zerstreuen in gewusste Richtigkeiten ohne den Sinn eines Zusam-
menhangs. Aber auch diese Ideen der Forschung sind noch Ideen in der Welt. Immer
kann nur der Versuch und die Erfahrung faktischen Zusammenhangs lehren, wie weit
sie wirklich sind. Die Idee der Welt, der einen Welt als eines zusammenhängenden, ge-
ordneten Ganzen, diese Idee aller Ideen, beschränkt sich auf die Aufgabe, für alles in
der Welt Vorkommende nach allen Seiten Beziehungen zu suchen, um das ständige
Zerfallen der Welt, das im Gegenständlichwerden für die Forschung stattfindet, auf-
zuheben. In der Tat zeigen sich Bezüge der Dinge in der Welt. Welcher Art und wel-
chen Sinnes aber diese Bezüge sind, das bleibt Aufgabe der Untersuchung. Die Einheit
der Welt bleibt eine Frage, auf welche die Forschung im Fortgang jeweils Antwort durch
die Ideen gibt, welche sie lenken und für die sie ein aus der Welt entgegenkommendes
Objektives an systematischen Zusammenhängen des Erkannten gefunden hat.
Die Welt heisst also Idee, weil sie Aufgabe für ein ständiges Weiterschreiten in ihr,
nicht ein geschlossenes Ganzes ist. Nur in der Welt kommt uns alles erforschbare Sein
vor. Die ganze Welt ist nie als Gegenstand für uns da. Gegenstände sind erkennbares
Weltsein in der Welt.
 
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