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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0230
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Grundsätze des Philosophierens 227
Herrschende Mächte wollen sich behaupten durch die Geltung von Auffassungen,
die unbezweifelt die Menschen beherrschen. Sie machen verantwortlich für Gesin-
nungen, die sich zeigen in einem Wissen, das gesucht und das geglaubt wird. Sie be-
dienen sich dabei fast immer auch bewusster Täuschungen, eine Schuld, die ein Keim
des schliesslichen Untergangs dieser Macht ist.
In der Tat aber trägt alles Wissen inbezug auf Geschichte eine Verantwortung in
sich. Dieses Wissen und die Verbreitung solchen Wissens hat Folgen für das Dasein al-
ler. Weil durch die Weise und den Inhalt des Wissens das weitere Geschehen - wenig-
stens als durch eine seiner Ursachen - bestimmt wird, liegt im Wissenwollen und der
Weise seines Vollzugs die doppelte Verantwortung der Wahrheit und der Mitwirkung
am Werdenden.
Diese eigentliche Verantwortung sieht ihren Sinn in dem Ernst der Wahrheit. Dass
diese im Wissen auch ständig noch verfehlt wird, sogar bei bestem Willen und stärk-
stem Bemühen, ist die unaufhebbare Schuld, die mit dem Wissen als solchem ver-
knüpft ist.
Solche Verantwortung wendet sich gegen die Täuschungsversuche herrschender
Mächte, die nur das für ihre eigene Daseinsbehauptung förderliche Wissen zulassen
und die ihnen für den Augenblick vorteilhafte Täuschungen erzwingen möchten.
Für die Wahrheit geschichtlichen Wissens ist eine Voraussetzung die Wahrheit des
in historischer Objektivierung erreichbaren wissenschaftlichen Wissens. Die Wissen-
schaft von der Geschichte ist dem Gehalt und dem Ziel nach zwar heterogen der Wis-
senschaft von der Natur. Aber beiden gemeinsam ist der Wille zu objektiver Tatbestands-
aufnahme, die Forderung empirischen Nachweises, die methodische Begründung, der
Anspruch auf Richtigkeit, die grundsätzliche Prüfbarkeit3 aller Urteile und die Entwick-
lung der Einsicht vermöge Kritik und Diskussion.
3. Existentieller Antrieb zum historischen Wissen: Die Erweiterung unseres histo-
rischen Wissens empfängt ihren Antrieb aus dem Hintergrund des geschichtlichen Be-
wusstseins. Das historische Wissen erhält Gewicht vom geschichtlichen Bewusstsein
des je Einzelnen in seiner Welt. Dieses ist in der Tiefe unsagbarer Erinnerung gegrün-
det und durch Überlieferung an umgreifende Autorität gebunden. Das Wissen als hi-
storisches Bewusstsein erhellt dieses geschichtliche Bewusstsein, aus dessen Antrieben
es gesucht wird.
In aller Bewegung des Wissens in der Realität der Geschichte durch die Realität, die
es selber mit hervorgebracht hat[,] liegt die Forderung der menschlichen Existenz, den
Unterschied aufzuheben zugunsten einer Realität, in der das Wissen zusammenfällt
mit dem Geschehen selber, in der der Entwurf und das Hervorgebrachte, das Ideal und
das Faktische übereinstimmen. Dieses Ziel aber wird in der Zeit nie erreicht. Der Gang

Prüfbarkeit im Ms. Vdg. für Diskutierbarkeit
 
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