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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0294
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Grundsätze des Philosophierens

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hender zu reden sein wird. Aber wahr ist darin, dass ein Zugrundeliegendes, wenn auch
nicht eine Substanz, doch etwas wie der Sinn der Sache, die Natur der Sache ist, die in
objektiven Ordnungen ablesbar ist. Sie wird entdeckt in der Beseelung durch Ideen, in
den Ämtern, Aufgaben, Berufen, in der Staatsgesinnung, im Aufbauen dessen, was an
sich schon ist, im Schaffen dessen, was aus der Realität entgegenkommt, in den Begrif-
fen des Rechts, in den Einrichtungen.
Institution, Norm und zugrundeliegende Realität hängen eng zusammen. Jedes
wird zugleich durch die beiden anderen interpretiert. Das[,] worin sie Zusammenhän-
gen, das Ganze der Gemeinschaft, ist wiederum in Polaritäten aufzufassen. Von den
für das politische Wollen wesentlichen Objektivierungen fassen wira ins Auge die Po-
larität von Staat und Gesellschaft und dann die Grundcharaktere der Staatsrealität.
dd. Staat und Gesellschaft: Ordnung in Gemeinschaft besteht durch eine Span-
nung polarer Kräfte.
Unbewusst, gleichsam von unten, entsteht eine nicht geplante und nicht begrif-
fene, tatsächliche Verfassung der gemeinschaftlichen Zustände, in denen das mensch-
liche Dasein wächst. Bewusst, gleichsam von oben, wird eine Ordnung der Arbeit und
der Unternehmungen, eine Staatsordnung und Staatsverfassung verwirklicht, in der
planmässige Verwaltung stattfindet. Das Unbewusste hat zu seinem dienenden Ele-
ment auch bewusste Akte und Planungen. Das Bewusste ist angewiesen auf das gege-
bene und entgegenkommende Unbewusste. Nur in der Steigerung durch diese Polari-
tät entfaltet sich die menschliche Welt. Das blos Unbewusste versinkt in das Vitale; es
ist wie Naturgeschehen. Das blos Bewusste zergeht im Bodenlosen; es ist Atmosphä-
renlosigkeit, in der kein Atmen mehr möglich ist.
In objektiven Gebilden kann man die Polarität als Staat und Gesellschaft auffas-
sen. Auf der entschieden bewussten Seite steht die Herrschaft, die im Staat ihre Klar-
heit, Kraft und ausschliessende Einheit gewinnt. Auf der vorwiegend unbewussten
Seite ist das Miteinander der Daseinsverwirklichung, das als Gesellschaft lebt. Staat
heisst die souveräne Ausübung der Herrschaft, von der alle andere Herrschaft sich ab-
leitet, sei es[,] dass diese geduldet, sei es[,] dass sie beauftragt ist. Gesellschaft heisst das
tatsächliche gemeinschaftliche Leben in Arbeit und Wirtschaft, in den Ordnungen
des Umgangs, in Berufen, Gruppen, Ständen, Klassen, in der Mannigfaltigkeit der be-
sonderen Interessen. Der Staat hat seine Gestalt entweder in loser Herrschaft, sei es in
den umfassenden Gründungen wie dem Reiche Karls des Grossen, sei es in der Locke-
rung von Lehnsreichen wie dem zerfallenden römischen Reich deutscher Nation. Oder
er hat seine Gestalt im absoluten, alles durchdringenden totalen Staat, in dem auch
die Gesellschaft Sache bewusster Herrschaft und bis in die letzten Verzweigungen
durchgeformte Herrschaftsmaschinerie wird. Umgekehrt kann die Gesellschaft als

wir im Ms. zusammen mit anschließendem besonders versehentlich gestr.
 
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