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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0313
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Grundsätze des Philosophierens

nach dem Endziel. In der Welt ist es das Menschsein. Alle Arbeit, alle Aufgaben, alle
Ordnungen in der Welt sind anzusehen unter dem Massstab, was für Menschen durch
sie wirklich werden. Aber was für ein Menschsein Endziel sei, das ist die Frage.
Wenn es heisst: das Glück, und das möglichst grosse Glück der möglichst grossen
Zahl, so handelt es sich nur um das Dasein der Individuen und eine durchaus unbe-
stimmte Glücksvorstellung. Gegen diese wendet sich der Zielgedanke, der nicht den
Menschen als Dasein meint, nicht den Menschen als solchen und nicht als einzelnen,
sondern das, was seiner Erscheinung nach durch den Menschen wirklich wird und zu-
gleich ein Objektives ist. Menschsein, das heisst dann, was der Mensch als das Sein be-
greift, ob und wie er Gottes inne wird, wie er die Welt erkennt, kurz wie er durch seine
eigene Wirklichkeit die Wirklichkeit selber offenbar werden lässt. Der Adel des Mensch-
seins liegt im Gegenwärtigwerden dessen, was mehr ist als der Mensch. Im Dasein und
in den Hervorbringungen des Menschen spricht etwas, um das der Mensch ringt. Der
Mensch, der eigentlich Mensch wird, gibt sich hin an Aufgaben der Welt und an Gott,
an die Welt sein Dasein, an Gott sich selbst.
aa. Die Weltordnung als Endziel in der Welt
und das darüber hinausliegende Endziel des Menschen
Das Endziel ist undenkbar als ein zeitlich dauernder Zustand in der Welt. Jedes Glück er-
weist sich als brüchig, der Mensch ist unvollendbar, seine Welteinrichtung treibt unab-
lässig voran. Alle Zustände verwandeln sich ungewusst oder werden aus der Erfahrung
ihres Ungenügens durch Eingriff bewusst geändert. Das Endziel ist unvorstellbar und
ohne Widersprüche unausdenkbar, es liegt in unendlicher Ferne. Aber quer zu diesem
in die Zukunft verlegten weltlichen Endziel liegt ein anderes Endziel, das transcendent
ist. Es wird symbolisch gedacht als das >Reich Gottes< der unsterblichen Seelen und als
ewiges Schauen der Gottheit durch diese unsterblichen Seelen. Alles weltliche Tun ist
auf dem Wege zum utopischen Endziel eines zukünftigen Zustandes und darin quer dazu
zum transcendenten Endziel, aber nicht so, dass es sich diesem transcendenten Ziele an-
nähere, sondern so, dass dieses Transcendente dem Menschen jederzeit gegenwärtig sein
kann - im Sprung von allem Weltsein geschieden -, während er sich in der Welt unter
Ideen einem untergeordneten immanenten Endziel ins Unendliche annähert.
Dieses weltliche Endziel ist die Ordnung des Daseins aller in Gemeinschaft. Da
diese Ordnung nicht in einen festen, unveränderlichen Zustand gebracht werden
kann, der für immer der richtige wäre, ist sie Idee, auf die hin jede Ordnung ergriffen
und verbessert, die beste Ordnung immer noch gesucht wird.
Hier kommt es für den Menschen darauf an, dass er nicht verwechselt. Die Idee der
Weltordnung ist nicht absolut. Kein Staat, auch nicht der eine Weltstaat der Erde ist
»Gott auf Erden«, ist nicht der »irdische Gott«. Der Mensch soll in der ganzen Weite
des Umgreifenden bleiben. Seine letzte und vollständige Hingabe darf nicht zu kurz
 
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